Normenkette

BGB § 611 ff., § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Aktenzeichen 2 O 649/99)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 7.5.2001 verkündete Grund- und Teilurteil des LG Gießen – Az. 2 O 649/99 – wird zurückgewiesen.

Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der materiell-rechtlichen Klageforderungen an das LG zurückverwiesen.

Die Kosten der Berufung fallen den Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt als Alleinerbin von Frau A., ihrer Mutter, von den Beklagten als Gesamtschuldnern Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz wegen einer misslungenen Schildrüsenoperation.

Die Erblasserin (Jahrgang 1923) wurde 1961 erstmals wegen eines Schilddrüsenstrumas operiert. Bis 1995 hatte sich ein Rezidivstruma gebildet, was ein reduziertes Allgemeinbefinden, Atemnot und Herz-Rhythmus-Störungen zur Folge hatte.

Frau F. begab sich daher am 7.8.1995 zur stationären Behandlung in das Krankenhaus, dessen Chefarzt der Beklagte zu 1) ist. Der Beklagte zu 2) klärte die Erblasserin noch am gleichen Tag über den geplanten Eingriff, eine erneute Strumaresektion, auf und verwandte hierfür ein abgewandeltes Formular für Ersteingriffe (Bl. 28–31 d.A.). Außerdem fanden zwei weitere Aufklärungsgespräche statt, eines davon mit dem Beklagten zu 1). Die klinische Untersuchung der Erblasserin zeigte, dass ihre Stimmbandnerven funktionstüchtig waren. Die Operation, die der Beklagte zu 1) durchführte, assistiert vom Beklagten zu 2), fand am 9.8.1995 statt. Es handelte sich dem Operationsprotokoll zufolge um eine subtotale Nachresektion auf beiden Seiten. Der Eingriff gestaltete sich wegen der auf der Voroperation beruhenden Vernarbungen schwierig. Wegen der Einzelheiten der Operation wird auf den entspr. Bericht des Beklagten zu 1) (Bl. 5 Anlagenkonvolut) Bezug genommen.

Nach der Operation litt die Erblasserin unter Stimmverlust und anhaltender Atemnot.

Auch ein starkes Verschleimen wurde im Verlaufsbogen nach der Operation vermerkt. Es stellte sich heraus, dass beide Stimmbandnerven gelähmt waren. Am 10.8.1995 wurde bei der Erblasserin ein Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) vorgenommen. Es wurde ihr außerdem eine Sprechkanüle in die Luftröhre eingesetzt. Am 23.9.1995 wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen. Die Stimmbandlähmung erwies sich als nicht reversibel. Am 23.10.1996 wurde die Dekanüllierung vorgenommen. In den folgenden Jahren wurden bei Frau A. acht weitere stationäre Krankenhausaufenthalte mit sieben operativen Nachbehandlungen erforderlich. Es trat Pflegebedürftigkeit ein. Die Erblasserin siedelte deswegen von ihrem bisherigen Wohnsitz in B.-K. nach St. in Baden-Württemberg zu ihrer Tochter, der Klägerin, über. Sie verstarb am 9.7.1999 im Alter von 76 Jahren. Der Leichenschauschein gibt als unmittelbare Todesursache Lungenembolien (Rezidiv)/Dyspnoe/Lungenödem, Zustand nach Pneumonie und Nierenversagen an (Bl. 4 Anlagenkonvolut).

Die Klägerin hat behauptet, den Beklagten seien bei der Behandlung ihrer Mutter im August 1995 grobe Fehler unterlaufen. Sie hätten notwendige präoperative Untersuchungen, nämlich die Sonographie der Schilddrüse und Röntgenaufnahmen der Luftröhre, unterlassen. Die radikale und subtotale Resektion der Schilddrüse stelle einen schweren ärztlichen Fehler dar. Die Beklagten hätten es insb. versäumt, die Stimmbandnerven bei der Erblasserin zu schonen. Statt der von der Beklagten angewandten Methode hätte eine intrakepsuläre Enukleation durchgeführt werden müssen. Infolge der fehlerhaften Operation habe ihre Mutter nicht nur ihre Stimme verloren, sondern auch an ständiger qualvoller Atemnot bis zu Erstickungsängsten und starker Verschleimung gelitten. Sie sei dadurch auch psychisch stark beeinträchtigt worden und habe einen Selbstmordversuch unternommen. Schließlich sei die Erblasserin auf Grund des fehlerhaften Eingriffs den Erstickungstod gestorben. Die Klägerin rügt außerdem die mangelhafte Aufklärung ihrer Mutter, die auf die weitreichenden Risiken des nicht zwingend gebotenen Eingriffs, insb. auf die Gefahr der beidseitigen Stimmbandlähmung und ihre Folgen, nicht hingewiesen worden sei. Bei richtiger und vollständiger Aufklärung hätte Frau A. die Operation nicht durchführen lassen.

Die Klägerin hat beantragt,

i) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie eine billige Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 100.000 DM nicht unterschreiten sollte, nebst 8 % Zinsen seit dem 21.9.1999 zu zahlen,

ii) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie, die Klägerin, 56.263,36 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 21.9.1999 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweise...

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