Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein Geschmacksmuster in verschiedenen Ansichten eingetragen, die sämtlich ein Erzeugnis zeigen (hier: Weinkaraffe) und nur zum Teil ein weiteres hiermit kombiniertes Erzeugnis (hier: Sockel für die Weinkaraffe), ist für die Bestimmung des Schutzgegenstandes grundsätzlich von dem Gesamteindruck auszugehen, den die beiden dargestellten Erzeugnisse erwecken.
2. Die zum früheren deutschen Geschmacksmusterrecht entwickelten Grundsätze über den Teil- oder Elementenschutz eines eingetragenen Musters sind auf das Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht (ebenso wie auf das neue deutsche Geschmacksmusterrecht) nicht anwendbar.
Normenkette
GGV § 10 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-18 O 51/07) |
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gem. §§ 540 II i.V.m. 313a I, 1 ZPO abgesehen.
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1. Geschmackmusterrechtliche Ansprüche sind nicht gegeben, weil die angegriffene Weinkaraffe beim informierten Benutzer jeweils einen anderen Gesamteindruck erweckt (Art. 10 I GGV) als die beiden Gemeinschaftsgeschmacksmuster, auf die der Verfügungsantrag gestützt ist. Maßgeblich für diese Einschätzung sind Erwägungen, die im vorliegenden Verfahren zwar - bis zum Hinweis des Senats vom 16.4.2008 - nicht angesprochen worden waren; sie betreffen jedoch die materiell-rechtliche Beurteilung, die stets von Amts wegen vorzunehmen ist (§ 529 II 1 ZPO).
a) Das zu einer Sammelanmeldung gehörende Verfügungsmuster ... zeigt - durch Wiedergabe sieben verschiedener Ansichten (Art. 4 II GGDV) - eine Karaffe nebst Sockel, wobei auf den Ansichten 1.1 bis 1.4 die Karaffe mit dem Sockel zusammen abgebildet ist, während auf den Ansichten 1.5 bis 1.7 die Karaffe allein wiedergegeben ist.
Wählt der Geschmacksmusterinhaber eine solche Form der Anmeldung, sind die eingetragenen Einzeldarstellungen rechtlich als die einheitliche Erscheinungsform desjenigen Erzeugnisses oder Erzeugnisteils anzusehen, für die Geschmacksmusterschutz beansprucht wird; insb. führen Abweichungen der Einzeldarstellungen voneinander nicht zu einer Vermehrung der Schutzgegenstände, sondern müssen bei der Bestimmung des Schutzgegenstandes außer Betracht bleiben. Es besteht kein Grund, diese zum früheren deutschen Geschmacksmusterrecht anerkannten Grundsätze (vgl. BGH WRP 2001, 946 - Sitz-Liegemöbel) nicht auch auf das Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht anzuwenden.
Danach bezieht sich der Schutz des Verfügungsmusters auf die in den Einzeldarstellungen 1.1 bis 1.4 wiedergegebene Kombination aus Karaffe und Sockel, wobei die Einzeldarstellungen 1.5 bis 1.7 die Gestaltung der Karaffe weiter verdeutlichen, ohne jedoch einen eigenständigen Schutz für die Karaffe isoliert zu begründen. Ein solcher Kombinationsschutz ist - auch unabhängig vom Sonderfall des "komplexen Erzeugnisses" i.S.v. Art. 3c) GGV - grundsätzlich möglich, soweit körperlich unverbundener Einzelgegenstände ästhetisch aufeinander abgestimmt sind und in einem funktionalen Zusammenhang stehen (vgl. Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Rz. 26 zu Art. 3 GGV m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das Verfügungsmuster nach Auffassung des erkennenden Senats. Selbst wenn man dies verneinen wollte und das Geschmacksmuster daher in der vorliegenden Form nicht hätte eingetragen werden dürfen, hätte dies jedenfalls nicht zur Folge, dass dem Verfügungsmuster innerhalb des vorliegenden Verletzungsverfahrens ein über den Schutz der dargestellten Kombination hinausgehender Schutzumfang beigemessen werden könnte.
An der dargelegten Einschätzung vermag auch die Angabe "Bottles" in der Rubrik "Indication of the product" der Anmeldung nichts zu ändern; denn der Schutzumfang des Verfügungsmusters wird maßgeblich durch die eingetragenen Darstellungen und nicht durch die Bezeichnung des Erzeugnisses bestimmt.
Ausgehend von dem so zu bestimmenden Schutzgegenstand des Verfügungsmusters erweckt die beanstandete Karaffe beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck; denn der Gesamteindruck des Kombinationsmusters wird maßgeblich auch von dem Sockel mitbestimmt, auf den die Antragsgegnerin bei dem angegriffenen Modell gänzlich verzichtet.
Die Antragstellerin kann auf der Grundlage des Musters ... einen isolierten Schutz für die dort abgebildete Karaffe auch nicht nach den zum früheren deutschen Geschmacksmusterrecht entwickelten Grundsätzen über den sog. Teil- oder Elementenschutz geltend machen, da diese Grundsätze - worauf in der Verfügung vom 16.4.2008 hingewiesen worden ist - nach Auffassung des Senats auf das Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht (ebenso wie auf das neue deutsche Geschmacksmusterrecht) nicht übertragen werden können (vgl. Jestaedt, GRUR 2008, 19, 23; Ruhl, a.a.O., Rz. 49 ff. zu Art. 10 GGV; a.A.: Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 3. Aufl., Rz. 36 zu § 38). Anders als nach altem Recht (vgl. § 1 I GeschmMG a.F.) ...