Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung: Ärztlicher Sorgfaltsmaßstab bei Verordnung von Magensäurehemmern

 

Normenkette

BGB §§ 280, 823

 

Verfahrensgang

LG Hanau (Urteil vom 18.05.2012; Aktenzeichen 1 O 549/09)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Hanau vom 18.5.2012 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen.

Das angefochtene Urteil und das Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert des Berufungsverfahrens beträgt 241.357.- EUR.

 

Gründe

I. Die Kläger fordern als Erben der am ... 2007 verstorbenen Frau A wegen behauptet fehlerhafter ärztlicher Behandlung und Verletzung von Aufklärungspflichten von den Beklagten aus eigenem und aus übergegangenem Recht Schmerzensgeld. Des Weiteren verlangen sie Ersatz der Kosten der Beerdigung; sie machen Unterhaltsschäden sowie vorprozessual entstandene Rechtsverfolgungskosten geltend und begehren die Feststellung der Einstandsplicht der Beklagten für künftige Schäden.

Der Kläger zu 1. war der Ehemann der Verstorbenen, die Klägerin zu 2. ist das gemeinsame Kind des Klägers zu 1. und der Frau A (nachfolgend: Patientin).

Am ... 11.2007 wurde die Patientin mit einem Ikterus im B-Krankenhaus O1, dessen Trägerin die Beklagte zu 1. ist, aufgenommen. Die Patientin berichtete anamnestisch u.a. über eine seit etwa 2 Wochen bestehende Schwäche und Appetitminderung sowie zweimaliges blutiges Erbrechen und Teerstuhl in den Tagen vor der Aufnahme. Am ... 11. 2007 (Folgetag) erfolgte eine Sonographie des Abdomens; am ... 11. 2007 (vier Tage nach Aufnahme) führte der Beklagte zu 2. eine Gastroskopie durch. Es zeigten sich eine vergrößerte Leber mit Zeichen der Leberzirrhose, freie Flüssigkeit in der Bauchhöhle, Ösophagusvarizen mit ausgeprägten roten Flecken auf der Oberfläche und eine durch Erhöhung des Blutdrucks im Pfortaderkreislauf bedingte Stauung der Magenschleimhaut. Die Diagnose lautete: Dekompensierte Leberzirrhose mit dem Bild einer zusätzlichen akuten Hepatitis äthyltoxischer Genese. Am ... 11.2007 (10 Tage nach Aufnahme) wurde eine Ösophagusvarizenligatur durchgeführt.

Die Beklagten zu 2. und 3. verordneten u.a. den Protonen - Pumpen - Hemmer Pantoprazol (Handelsname: Pantozol) in einer Dosierung von 2 × 40 mg täglich, Nystatin und das Antibiotikum Ciprobay.

Ab dem zweiten Halbjahr 2003 wurde in der Packungsbeilage zu Pantoprazol als sehr seltene Nebenwirkung auf das Lyell - Syndrom, auch toxische epidermale Nekrolyse (TEN), hingewiesen. Es handelt sich hierbei um das Syndrom der verbrühten Haut, eine epidermale Einschmelzung mit generalisierter subepidermaler Blasenbildung der Haut, auch der Mund-, Nasen- und Genitoanalschleimhaut. Inzwischen ist das Medikament rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Seit Juli 2008 wird TEN in den Fachinformationen über Pantoprazol nicht mehr in der Tabelle mit definierten Häufigkeiten geführt, weil sich aufgrund der Seltenheit des Auftretens keine Häufigkeit berechnen lässt. Eine Auskunft der Herstellerin des Medikaments (C GmbH) ergab, dass bisher weltweit etwa 800 Millionen Patienten mit Pantoprazol behandelt wurden und etwa 100 Meldungen von TEN, SJS (Stevens - Johnson - Syndrom) oder Lyell - Syndrom eingingen, wobei diese Zahl auch Mehrfachmeldungen umfasste.

Die Patientin wurde am ... 11.2007 (14 Tage nach Aufnahme) aus der stationären Behandlung entlassen. Die Medikamentengabe erfolgte nunmehr durch ihren Hausarzt, der an Stelle von Pantoprazol das Medikament Omeprazol verordnete. Am ... 12.2007 litt die Patientin unter Fieber, Atemnot und Husten, weshalb ein Notarzt hinzugezogen wurde. Sie wurde nach Hausbesuchen am ... und ... 12.2007 von ihrem Hausarzt zur stationären Aufnahme in das D-Krankenhaus, O2, eingewiesen. Dort wurde sie am ... 12.2007 zur Abklärung einer äthyltoxischen Leberzirrhose aufgenommen. Die Behandlung mit Pantoprazol wurde zunächst fortgesetzt. In den Krankenunterlagen wurde für den ... 12.2007 als Ergebnis eines dermatologischen Konsils dokumentiert; am Vorabend (... 12.) sei ein schweres generalisiertes Exanthem mit massivem Juckreiz aufgetreten. Der dermatologische Konsiliar stellte die Diagnose eines Erythema exsudativum multiforme (entzündliche Rötung der Haut mit Austritt von Sekret) mit den ätiologischen Differentialdiagnosen "infektallergisch, DD medikamentös" und empfahl, alle nicht unbedingt notwendigen Medikamente abzusetzen. Dieser Empfehlung folgten die Internisten/Gastroenterologen zunächst nicht.

Am ... 12.2007 litt die Patientin unter einer Blasenbildung mit großflächiger Ablösung der Epidermis; im Verlauf des Tages wurde das Lyell - Syndrom diagnostiziert. An diesem Tag wurde u.a. das Medikament Pantozol abgesetzt. Die P...

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