Leitsatz (amtlich)
1. Die Grundsätze zur "Anlagebestimmung" finden im Rahmen der deliktischen Haftung für falsche Ad-hoc-Mitteilungen keine Anwendung. Die Ursächlichkeit der falschen Meldung für den Anlageentschluss muss anhand der Umstände des Einzelfalls festgestellt werden.
2. Die sich aus §§ 826, 31 BGB ergebende Haftung der AG für falsche Ad-hoc-Mitteilungen geht dem Grundsatz der Kapitalerhaltung (§ 57 Abs. 1 AktG) vor. Die Haftung der AG ist nicht auf ihr freies Kapital beschränkt.
3. Derartige Ansprüche sind nicht allein deshalb wegen Mitverschuldens (§ 254 BGB) zu kürzen, weil der Anleger ein "hochspekulatives Papier" erworben hat.
Normenkette
AktG § 57 Abs. 1; BGB §§ 254, 826
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.05.2004; Aktenzeichen 2-21 O 324/03) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 7.5.2004 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht seines Freundes ... (nachfolgend als "Zedent" bezeichnet) auf Schadensersatz wegen verschiedener Täuschungshandlungen in Anspruch, die dem Erwerb von Aktien der Beklagten durch den Zedenten voraus gingen. Der Zedent erwarb am 14.3.2001 200 Aktien der Beklagten zu 31 EUR, am 19.4.2001 300 Aktien der Beklagten zu 9,10 EUR, nach bestrittener Behauptung des Klägers deshalb, weil er - der Zedent - auf die von ihm selbst im Internet gelesenen Ad-hoc-Mitteilungen der Beklagten vom 26.2.2001 über Gewinn und Umsatz im Geschäftsjahr 2000 (Bl. 13 f. d.A.) und vom 16.3.2001 über die Anhebung der Umsatz- und Gewinnplanzahlen für 2001 bis 2003 (Bl. 53 f. d.A.) vertraut habe. Unstreitig beruhte das Zahlenwerk in beiden Ad-hoc-Mitteilungen wie in zahlreichen anderen ganz überwiegend auf vom damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, ..., fingierten Umsätzen. Außerdem hat sich der Kläger noch auf eine Unrichtigkeit des im November 1999 von der Beklagten heraus gegebenen Börsenprospekts gestützt und - im Anschluss an ein früheres Urteil des LG Frankfurt/M. - gemeint, wegen der zahlreichen falschen Ad-hoc-Mitteilungen zu hohen Umsätzen etc. habe eine durchgängige "Anlagestimmung" bestanden, die nach den Regeln des Anscheinsbeweises auf die Ursächlichkeit der Falschmeldungen für die Kaufentschlüsse des Zedenten schließen lasse. Klageforderung ist die Differenz des vom Zedenten für die Aktien 2001 gezahlten und des von ihm nach dem weit gehenden Zusammenbruch der Beklagten am 3.2.2003 noch erzielten Preises von 0,21 EUR (Bl. 12 d.A.).
Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Das LG hat der Klage aus §§ 826, 31 BGB stattgegeben.
Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung insb., das ggf. sittenwidrige Handeln ... sei ihr nicht nach § 31 BGB zurechenbar, weil der Zedent als Aktionär nicht "Dritter" sei und eine Verletzung von Pflichten aus der Satzung oder dem Mitgliedschaftsverhältnis nicht in Rede stehe. Die Unrichtigkeit von Ad-hoc-Mitteilungen begründe das Verdikt der Sittenwidrigkeit allein nicht. Der Kläger habe die Kausalität der Falschmeldungen für die Kaufentschlüsse des Zedenten unzureichend dargelegt, insb. hinsichtlich der zweiten, nach dem Kauf veröffentlichten Mitteilung. Das LG habe auf die nötigen, konkreten Feststellungen hierzu verzichtet und mit unzulässigen Vermutungen gearbeitet. Der Prospekt habe die schwierige finanzielle Situation der Beklagten offen gelegt und sei daher nicht geeignet gewesen, eine Anlagestimmung auszulösen, die durch die Ad-hoc-Mitteilungen hätte perpetuiert werden können. Jedenfalls habe der Kläger eine derartige Wirkung des Prospektes nicht ausreichend dargelegt. Die etwa durch den Prospekt hervorgerufene Anlagestimmung sei um die Jahreswende 1999/2000, also lange vor dem Erwerb des Zedenten wieder erloschen, weil durch die Kursentwicklung überholt worden. Dagegen, dass die Ad-hoc-Mitteilungen eine Kaufstimmung erzeugt hätten, spreche in tatsächlicher Hinsicht schon der insgesamt davon unabhängige Verlauf des Aktienkurses, der vielmehr überwiegend spekulative Erwägungen der meisten Anleger belege; rechtlich gesehen kämen weder Beweiserleichterungen noch ein Anscheinsbeweis in Betracht, weil Erfahrungssätze für ein typisches Anlegerverhalten fehlten ... habe hinsichtlich der Schädigung von Anlegern nur bewusst fahrlässig, nicht bedingt vorsätzlich gehandelt, weil er sich mit einer Schädigung nicht abgefunden habe; dies ergebe sich aus seiner vom LG herangezogenen Beschuldigtenvernehmung, wonach er sich gewundert habe, wie lange es gut ging. Dem Zedenten sei dur...