Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Im Verfahren gegen Heranwachsende ist ausnahmsweise ein zweites Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zulässig, wenn der bereits in erster Instanz freigesprochene Heranwachsende auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin erneut freigesprochen wird. Denn mangels eines Schuldspruchs ist eine tatsächliche Entscheidung über die Anwendung von Jugendstrafrecht, die gemäß § 109 VI S. 1 JGG Voraussetzung für die entsprechende Anwendung des § 55 II S. 1 JGG ist, notwendigerweise unterblieben.

  • 2.

    Eine Aufforderung zu rechtswidrigen Taten i.S.d. § 111 StGB ist eine Erklärung, die nicht notwendigerweise ernst gemeint sein muss, aber mindestens den Eindruck der Ernstlichkeit macht oder machen soll.

  • 3.

    Die wörtliche Mitteilung fremder Äußerungen stellt nur dann eine Aufforderung dar, wenn der Verbreitende sie durch eigene Mitteilung oder durch die Art und Weise der Wiedergabe erkennbar zu seiner eigenen Erklärung macht.

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Entscheidung vom 24.06.2002; Aktenzeichen 6 Js 16457/00-85 Ds)

 

Tenor

Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

Das Amtsgericht - Jugendgericht - Wiesbaden hat den Angeklagten vom Vorwurf der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten freigesprochen. Die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht - Jugendkammer - mit der Begründung verworfen, dass es am Tatvorsatz fehle. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird. Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Revision ist zulässig.

Sie ist frist- und formgerecht eingelegt und mit der- ausgeführten - Sachrüge hinreichend begründet worden.

Die Staatsanwaltschaft ist zur Einlegung der Revision berechtigt. Die Einlegung der Revision gegen das Berufungsurteil nach vorheriger Einlegung der zulässigen Berufung ist nicht gem. § 55 Abs. 2 S. 1 JGG gesetzlich ausgeschlossen. Die Vorschrift findet in dem Verfahren gegen den heranwachsenden Angeklagten gem. § 109 Abs. 2 S. 1 JGG keine Anwendung, da weder das Amts- noch das Landgericht gem. § 105 JGG Jugendstrafrecht angewandt haben. Aus diesem Grunde ist nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung und der Literatur in Verfahren gegen Heranwachsende ein zweites Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zulässig, wenn der in erster Instanz freigesprochene Heranwachsende auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin erneut freigesprochen wird (vgl. OLG Gelle NdsRpfl. 1962, 88; OLG Düsseldorf, VRS 75, 474; Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl. 2002, § 55 Rzn. 16-18; Eisenberg, JGG, 8. Aufl. 2000, § 55, Rz. 37; Ostendorf, JGG, 5. Aufl. 2000, § 55, Rzn. 1, 32). § 109 Abs. 2 S. 1 JGG macht die entsprechende Anwendung von § 55 JGG im Verfahren gegen Heranwachsende ausdrücklich von der Anwendung von Jugendstrafrecht abhängig. Insoweit kommt es nach zweimaligem Freispruch nicht darauf an, ob nach dem Prozessablauf und den Urteilsgründen hinreichende Anhaltsgründe dafür bestehen, dass im Falle eines Schuldspruchs Jugendstrafrecht angewandt worden wäre. Denn eine tatsächliche Entscheidung über die Anwendung von Jugendstrafrecht ist mangels eines Schuldspruchs notwendigerweise unterblieben. Im übrigen erforderte die Anwendung von Jugendstrafrecht gem. § 105 JGG anderenfalls eine eindeutige Feststellung des Gerichts (vgl. Brunner/Dölling, aaO, § 55, Rz. 16). Eine in Einzelfällen denkbare Beeinträchtigung des die Regelung des § 55 JGG begründenden Erziehungszwecks durch ein erneutes Rechtsmittel rechtfertigt es nicht, in anderen als den bestimmten bezeichneten Ausnahmefällen von dem allgemeinen Rechtsmittelzug im Strafprozess abzusehen (vgl. OLG Gelle, aaO, 89).

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das Landgericht hat u.a. festgestellt, dass der in politischer Hinsicht nicht aktive Angeklagte im Frühjahr 2000 an dem "Abi-Buch 2000" seines Gymnasiums mitgewirkt habe. Dieses sei in einer Auflage von ca. 500 Stück hergestellt und für 8,00 DM an der Schule verbreitet worden, aber auch sonstigen interessierten Personen zugänglich gewesen. Zur Aufmachung und zum Konzept des Abi-Buchs unter Bezugnahme auf die Theaterwelt, zur Gestaltung der einzelnen Beiträge und insbesondere zur Darstellungsweise und zum Inhalt der von dem Angeklagten gestalteten Seite 143 hat das Landgericht als völlige Feststellungen getroffen, insbesondere auch den verfahrensauslösenden Liedtext dargestellt, und im übrigen gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf S. 143 des bei den Akten befindlichen Buches Bezug genommen. Des weiteren hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte zur Provokation und um seinem aufgestauten Schulfrust Ausdruck zu verleihen gehandelt habe. Niemand aus der Schule habe die Textseite des Angeklagten ernstgenommen. Der Angeklagte habe sich dahingehend eingelassen, dass er nicht zu Straftaten habe auffordern wollen und auch nicht damit gerechnet habe, dass irgendjemand sich ...

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