Entscheidungsstichwort (Thema)

Verdecken der Marke bei Anbringen eines Aufklebers mit PZN-Nummer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Umverpacken von Arzneimitteln ist mangels grenzüberschreitendem Bezug bei reinen Inlandssachverhalten nicht anwendbar.

2. Das Überkleben der Pharmazentralnummer des Herstellers auf erschöpften Medizinprodukten steht der Anwendung von Art. 15 Abs. 1 UMV nicht entgegen, wenn zwar auch die Marke des Herstellers überklebt wird, die Marke jedoch so versteckt und wenig herausgehoben ist, dass angesichts der mehrfachen Markenverwendungen an anderer Stelle der Verpackung die Herkunftsfunktion der Marke nicht verletzt wird.

 

Normenkette

AEUV Art. 34; UMV Art. 15 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.09.2020; Aktenzeichen 3-8 O 15/20)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 07.11.2022; Aktenzeichen I ZR 175/21)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.9.2020 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um eine mögliche Erschöpfung von mit der Klagemarke versehenen Medizinprodukten.

Die Klägerin vertreibt in Deutschland Produkte der modernen Wundversorgung. Für eine Konzerngesellschaft der Klägerin ist die Unionswortmarke "URGO" (Nr. ...) für Waren der Warenklasse 5 registriert. Diese hat die Klägerin mit Lizenzvereinbarung ermächtigt, als exklusive Lizenznehmerin in Deutschland Ansprüche aus der Marke geltend zu machen und durchzusetzen. Die Beklagte ist Einzel- und Großhändlerin von Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln.

Die Klägerin brachte die streitgegenständlichen Packungen des Produkts "URGO Tüll 10 × 10 cm Wundauflagen" in Deutschland in der Anlage K4 ersichtlichen Gestaltung in den Verkehr. Die Beklagte vertrieb - wie die Klägerin im Rahmen eines Testkaufs feststellte - diese Wundauflagen und überklebte dabei neben der PZN der Klägerin die Marke "URGO" mit einem Aufkleber, der auf die Beklagte selbst und ihre PZN-Nummer hinweist, so dass die Packung nunmehr wie folgt gestaltet war:

((Abbildung))

Der Aufkleber

((Abbildung))

wurde dabei teilweise überklebt und sah danach so aus:

((Abbildung))

Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 16.9.2020, auf das gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, antragsgemäß zur Unterlassung, zur Auskunft, zum Schadenersatz sowie zum Ersatz der Abmahnkosten verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, das Markenrecht der Klägerin sei nicht gemäß Art. 15 Abs. 1 UMV erschöpft. Die Klägerin könne sich gemäß Art. 15 Abs. 2 UMV dem weiteren Vertrieb der Ware widersetzen, da der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert bzw. verschlechtert worden sei. Es handele sich nicht um ein Umverpacken im Sinne der Rechtsprechung des EuGH. Durch das Überkleben und Verdecken der Marke werde der spezifische Gegenstand der Klagemarke beeinträchtigt, der darin bestehe, den Verbraucher oder Endabnehmer die Herkunft der mit ihr versehenen Ware zu garantieren. Die überklebte Wortmarke sei nicht im Fließtext wiedergegeben, sondern neben der weiteren Marke der Klägerin, dem sog. URGO-Männchen. Daher erfülle sie trotz der kleinformatigen Aufbringung eine Herkunftsfunktion, die nicht zu vernachlässigen sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Sie meint, durch den Aufkleber der Beklagten sei die Herkunftsgarantie der Marke nicht beeinträchtigt. Es werde keine Herstellerinformation überdeckt, die für die Anwendung des Produktes relevant sein. Die Gesamterscheinung der Packung sei unberührt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.9.2020 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 9 Abs. 2a UMV nicht zu, da die Klägerin sich dem weiteren Vertrieb der erschöpften Waren mangels berechtigter Gründe nicht nach Art. 15 Abs. 2 UMV widersetzen kann.

1. Gemäß Art. 15 Abs. 2 UMV kann sich ein Dritter nicht auf die Erschöpfung des Rechts des Markeninhabers aus der Gemeinschaftsmarke berufen, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist. Eine derartige Veränderung kann auch darin liegen, dass die Verpackung (z.B. durch Aufkleber) verändert wird. Zwar ...

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