Leitsatz (amtlich)
Schadenersatz für den Einsatz von Brustimplantaten aus Industriesilikon statt zugelassenem Füllmaterial
Normenkette
BGB § 823; RL 93/42 EWG
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 16.02.2017; Aktenzeichen 27 O 354/15) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 16. Februar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene und das Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des gegen sie aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin hat ursprünglich von den Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 45.000 EUR nebst Zinsen (Antrag zu 1) sowie Ersatz bereits entstandenen materiellen Schadens in Höhe von 5.700 EUR nebst Zinsen (Antrag zu 2) und die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden (Antrag zu 3) begehrt.
Der Klägerin wurden am 22.07.2002 in Stadt1 Brustimplantate des Typs X (Anlage K 5, Bl. 79 d. A.) des Herstellers Poly Implant Prothese (Bl. 33 d. A., nachfolgend: PIP) eingesetzt, die am 27.02.2015 ausgetauscht wurden. PIP verwendete teilweise Industriesilikon anstelle des in den Produktunterlagen beschriebenen und zugelassenen Silikons des Herstellers NuSil.
Die Beklagte zu 1) war seit Oktober 1997 von der PIP u. a. mit der Konformitätsbewertung beauftragt gewesen, wobei sie im Jahr 2002 als so genannte "Benannte Stelle" i. S. d. Medizinprodukterichtlinie RL 93/42 EWG vom 14.06.1993 tätig wurde.
Das Bureau Central de Tarification verpflichtete den Anlagen B 8 und B 8a (Original und Übersetzung, beides Anlagenordner der Anlagen zur Klageerwiderung der Beklagten zu 2)) zufolge die Beklagte zu 2) dazu, mit Wirkung ab dem 17.02.2005 einen Versicherungsvertrag mit PIP abzuschließen. Die Beklagte zu 2) war seit 17.02.2005 Haftpflichtversicherer als Pflichtversicherer des Herstellers PIP. Der dem französischen Recht unterliegende Versicherungsvertrag enthielt eine territoriale Beschränkung des Versicherungsschutzes auf ausschließlich in Frankreich und den überseeischen französischen Gebieten eingetretene Schadensereignisse und war im Übrigen auf eine Deckungshöchstsumme begrenzt.
Die Klägerin hat behauptet, dass ihr im Jahr 2002 Implantate eingesetzt wurden, die statt mit zugelassenem Füllmaterial der Firma NuSil mit nicht medizinischem Industriesilikon durch PIP befüllt gewesen seien. Sie habe große Angst, dass Giftstoffe bereits in ihren Körper gelangt sein könnten und leide zumindest unter einer subjektiven Belastung. Sie hat zuletzt (Schriftsatz vom 12.01.2017, Bl. 464, 469 d. A.) behauptet, im Jahr 2012 von der Gefahr Kenntnis erlangt zu haben. In ihrer Brust seien im Februar 2013 drei Knoten und im Folgejahr weitere Knoten ertastet worden, weshalb ihr dringend zum Austausch der Implantate geraten worden sei. Bei dem im Februar 2015 stattgefundenen Austausch sei festgestellt worden, dass bereits eine erhebliche Menge Silikon ausgeschwitzt gewesen sei.
Hinsichtlich einer Haftung der Beklagten zu 1) hat die Klägerin behauptet, dass die Beklagte zu 1) ihre Prüf- und Überwachungspflichten gemäß Anhang II der Medizinprodukterichtlinie 93/42 EWG nicht ordnungsgemäß erfüllt habe. Insbesondere habe die Beklagte zu 1) bei PIP keine unangekündigten Audits durchgeführt.
Hinsichtlich einer Haftung der Beklagten zu 2) hat sie vertreten, dass sich eine Haftung aus den Versicherungsbedingungen ergäbe und eine Haftung vorliegend nach materiellem französischem Recht aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des Herstellers PIP bestünde. Insoweit stünde ihr ein Direktanspruch folgend aus Art. L 124-3 i. V. m. L 112-6 des französischen "Code des assurances" gegen die Beklagte zu 2) zu. Die in den Versicherungsbedingungen beinhaltete Territorialitätsklausel sei unwirksam und stelle in Verbindung mit den französischen Regeln für Pflichtversicherte für Produktfehler eine - nach Art. 18 und Art. 34 AEUV (Bl. 44 f. d. A.) unzulässige - mittelbare Diskriminierung deutscher Frauen gegenüber Opfern in Frankreich dar.
Die Beklagte zu 1) hat vertreten, dass Brustimplantate seit 2003 als Medizinprodukte der Risikoklasse III einzustufen seien (Bl. 109 d. A.). Zum Implantationszeitpunkt bei der Klägerin im Juli 2002 sei eine Prüfung der Produktauslegung anhand des Design Dossiers gemäß Anhang II.4 der Medizinproduktrichtlinie nicht erforderlich gewesen. Die Implantation sei im Juli 2002 zu einem Zeitpunkt erfolgt, bevor die Richtlinie 2003/12/EG der Kommission vom 03.02.2003 zur Neuklassifizierung von Brustimplantaten im Rahmen der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte für die Mitgliedsstaaten umzusetzen und anzuwenden war. Erst 2004...