Leitsatz (amtlich)
Grober Behandlungsfehler, der darin lag, dass Orthopäde nach Kniegelenksimplantation wochenlang nicht sachgerecht auf Infektionsanzeichen reagiert hat, wodurch vermeidbar bleibende Weichteilschäden eingetreten sind, die die Klägerin trotz weiterer Operationen dauerhaft behindern werden; 20.000 EUR Schmerzensgeld.
Normenkette
BGB §§ 823, 847
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.10.2007; Aktenzeichen 2/18 O 127/05) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 23.10.2007 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. (2/18 O 127/05) wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 22.552,51 EUR.
Gründe
I. Die Klägerin war Patientin des Beklagten. Der Beklagte, Facharzt für Orthopädie, implantierte ihr im A.-Krankenhaus in O1 am 11.10.2001 eine Kniegelenksprothese.
Am nächsten Morgen entfernte der Beklagte beide Drainagen aus dem operierten Knie. In der Folgezeit traten Komplikationen ein (Schwellungen, Schmerzen, Schüttelfrost, Fieber, Austreten von Wundsekret). Der Beklagte behandelte die Klägerin mit Verbandwechseln, intravenös verabreichten Antibiotika und Schmerzmitteln. Er erhob CRP-Werte, die am 5.11.2001 noch bei 5,7 lagen. Eine Punktion des Knies nahm er nicht vor.
Am 27.11.2001 entließ der Beklagte die Klägerin in eine Rehabilitationsklinik. Der Sekretfluss war bis dahin zum Stillstand gekommen. Der Zustand des Kniegelenks war, was die Senatsverhandlung ergeben hat, insgesamt jedenfalls nicht entscheidend gebessert.
Einige Tage später bildete sich eine Fistel, aus der wiederum Sekret austrat.
Nach ihrer Entlassung aus der Rehabilitationsbehandlung setzte sich die Klägerin noch am gleichen Tag (18.12.2001) wieder mit dem Beklagten in Verbindung.
Nachdem der Beklagte sich das Knie angeschaut hatte, gab er der Klägerin einen Termin am 8.1.2002, bei dem ebenfalls eine optische Begutachtung des Knies erfolgte. Am 18.1.2002 veranlasste der Beklagte eine Röntgenuntersuchung des Knies, bei der ein Fistelgang festgestellt wurde.
Ende Januar 2002 wurde die Klägerin in die ... B.-Klinik in O1 aufgenommen, wo eine schwere Infektion des Kniegelenks und eine Lockerung der Prothese festgestellt wurden.
Der Klägerin wurde zunächst operativ die Prothese entfernt, die Entzündung beseitigt und ein Platzhalter eingesetzt.
Dann wurde in einer weiteren Operation der Platzhalter durch eine Kniegelenksscharnierprothese ersetzt.
Schließlich trat im August 2003 eine erneute Instabilität auf und im Dezember 2003 verrutschte das Inlay, so dass eine erneute Operation stattfand.
Das Knie ist instabil, es bestehen Weichteilschäden (Korpel-, Bänder- und Kapselschäden). Die 1939 geborene Klägerin ist dadurch erheblich in ihrer Bewegungsfähigkeit beim Laufen und beim Treppensteigen eingeschränkt. Das Knie droht selbst im Hause wegzuknicken, weswegen die Klägerin ständig Stürze befürchten muss. Sie muss Gehstützen verwenden und ein Muskelaufbautraining absolvieren. Weitere Operationen sind nicht ausgeschlossen.
Das LG hat den Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld (20.000 EUR) und materiellem Schadensersatz (552,51 EUR) verurteilt sowie die Feststellung seiner Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden ausgesprochen. Soweit ein Feststellungsanspruch wegen immaterieller Zukunftsschäden erhoben worden war, hat das LG die Klage abgewiesen.
Das LG ist, sachverständig beraten durch Frau Prof. Dr. SV1, davon ausgegangen, dass der Beklagte bei der Versorgung und der Behandlung der im Anschluss an die Operation aufgetretenen Infektion grob fehlerhaft gehandelt hat.
Bei fehlerfreiem Vorgehen wäre der Klägerin zwar eine zweite Operation nicht erspart geblieben. Es wären ihr aber Unannehmlichkeiten erspart worden und die Implantation einer wesentlich kleineren neuen Prothese hätte genügt. Zu der heutigen, nicht zufriedenstellenden Lage mit instabiler Prothese und absehbarer weiterer Operation mit dem Risiko ungewissen Ausgangs bis hin zur Knieversteifung (weil keine weitere Prothese mehr einzusetzen wäre) wäre es nicht gekommen. Letzteres sei anzunehmen auf Grund der Beweislastumkehr, die in Folge des groben Behandlungsfehlers für die Klägerin wirke.
Das gelte nicht hinsichtlich der nicht ausreichenden Infektionskontrolle "für die ersten Tage bis Wochen" nach der Operation, weil diese nicht als grob fehlerhaft zu werten sei. Der darin liegende einfache Befunderhebungsfehler hätte zwar mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem reaktionspflichtigen Befund geführt, die Nichtreaktion wäre aber nicht als grob fehlerhaft zu werten gewesen, weil der Beklagte die Infektion nämlich durchaus erkannt, aber mit der Antibiose...