Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung eines Unterhaltsanspruchs unter Berücksichtigung der eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen
Normenkette
BGB § 1601 ff., § 1611; BSHG § 91 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Wiesbaden (Aktenzeichen 54 F 2300/00) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das angefochtene Urteil abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Zeit vom 1.9.1998 bis zum 30.4.2001 rückständigen Unterhalt aus übergeleitetem Recht i.H.v. 2.120 DM zu zahlen.
Darüber hinaus wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 1/5, die Klägerin 4/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Unterhalt für die Mutter der Beklagten. Die Klägerin macht diesen Unterhaltsanspruch aus übergeleitetem Recht geltend, weil sie an die Mutter der Beklagten Sozialhilfe geleistet hat.
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des geltend gemachten Unterhalts verurteilt. Mit der Berufung verfolgt sie weiter ihren Anspruch auf Abweisung der Klage. Sie begründet diesen Antrag damit, dass ihre Mutter Unterhaltszahlungen dem Grunde nach verwirkt habe, weil sie während ihrer Kindheit ihrer Verpflichtung zur Fürsorge und zu Unterhaltsleistungen nicht nachgekommen sei.
Im Übrigen sei sie aufgrund eigener krankheitsbedingter Mehraufwendungen sowie erheblichen Kosten für ihre berufliche Qualifizierung auch aus wirtschaftlichen Gründen zur Leistung des Unterhalts nicht in der Lage.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bestreitet sowohl das Vorliegen von Verwirkungsgründen als auch die Notwendigkeit irgendwelcher Mehraufwendungen aufgrund Krankheit oder für berufliche Qualifizierung.
Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zum überwiegenden Teil begründet. Die Beklagte kann aufgrund ihrer eingeschränkten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nur in beschränktem Umfang zu Unterhaltsleistungen an ihre Mutter herangezogen werden.
Dem Grunde nach ist die Beklagte zu Unterhaltsleistungen gegenüber ihrer Mutter verpflichtet. Insbesondere hat die Mutter der Beklagten ihren Unterhaltsanspruch nicht wegen einer schweren Verfehlung gegenüber ihrer Tochter in vollem Umfang verwirkt. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Beklagte in der früheren Sowjetunion unter kärglichen und belastenden Umständen aufgewachsen ist und sie wegen der schweren Erkrankung ihrer Großmutter und deren Pflegebedürftigkeit zum einen selbst nicht die für ihr seelisches und körperliches Wohlergehen wünschenswerte Zuwendung und Betreuung erhalten hat und außerdem zu Arbeiten herangezogen wurde, die sie in ihrem Entwicklungs- und Reifezustand überforderten. Jedoch können diese Beeinträchtigungen ihrer Kindheit nicht allein ihrer Mutter angelastet werden. Auch für diese war es schicksalhaft, dass ihre eigene Mutter schwer erkrankte und der Pflege bedurfte. Solange die Eltern der Beklagten noch zusammenlebten, konnte die Mutter auch durchaus erwarten, dass der Vater der Beklagten sich an ihrer Stelle verantwortlich um die Tochter bemühte, während sie ihrerseits den Verpflichtungen gegenüber den eigenen Eltern nachkam. Soweit die Beklagte schon als Kind zu Hilfeleistungen im Familienverband herangezogen wurde, indem sie ihre Mutter bei der Pflege der Großmutter unterstützen musste oder auch zu anderen Tätigkeiten (Renovierung der Wohnung) herangezogen wurde, mag dies objektiv eine Überforderung eines Kindes darstellen, doch muss dies im Zusammenhang mit der ökonomischen und sozialen Situation in der früheren Sowjetunion betrachtet werden. Insbesondere können nicht die sich in den letzten Jahrzehnten im westlichen Europa entwickelten Vorstellungen über die Förderung und Behütung von Kindern retrospektiv zum Maßstab des Erziehungsverhaltens für Eltern in einem ca. 20 Jahre zurückliegenden Zeitraum in einem Land mit durch andere Erziehungstradition geprägten Vorstellungen gemacht werden. Dies gilt insbesondere auch für den Zeitraum des Studiums der Beklagten in St. Petersburg, dessen Finanzierung, wie sie selbst vorträgt, durch ein Stipendium gesichert war. Dass ihre Mutter daneben ergänzend Unterhalt nicht geleistet hat, kann ihr schwerlich den Vorwurf eines groben Fehlverhaltens eintragen.
Der Übergang des Anspruchs auf die Klägerin ist auch nicht gem. § 91 Abs. 2 S. 2 BSHG ausgeschlossen. Als besondere Härtegründe im Sinne dieser Norm sind „zwischenmenschliche Belange” und deren Störungen nicht anzusehen. Diese Prüfung ist ausschließlich im Rahmen des § 1611 Abs. 1 BGB vorzunehmen (vgl. BVerwG, BVerfGE 58, 209 ff.). Prüfungsgegenstand des § 91 Abs. 2 BSHG ist vielmehr ausschließlich eine Würdigung der Gesamtsituation des in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen. Entsc...