Entscheidungsstichwort (Thema)
VW-Dieselskandal: Haftung des Herstellers nach § 852 Satz 1 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Abgasskandal-Geschädigte können bei einem Neuwagenkauf im Fall der Verjährung ihrer Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB einen Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB haben.
2. Hauptanspruch im Sinne des § 217 BGB ist im Falle der Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB der dort normierte Herausgabeanspruch und nicht der (verjährte) deliktische Anspruch.
Normenkette
BGB § 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1a, §§ 217, 249, 826, 852; ZPO § 543 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 23.07.2021; Aktenzeichen 2 O 258/20) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 23. Juli 2021 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung des Klägers teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 2.027,58 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 3. September 2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 179,27 gegenüber der A - Partnerschaft von Rechtsanwälten freizustellen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen haben der Kläger zu 64 % und die Beklagte zu 36 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gemäß den §§ 540 Abs. 1, 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache aus dem im Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 826 BGB einen Anspruch auf Zahlung von EUR 5.670,44 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 3. September 2020 (a). Dieser Schadensersatzanspruch des Klägers ist jedoch gemäß den §§ 195, 199 BGB verjährt (b). Dem Kläger steht jedoch gegen die Beklagte gemäß § 852 Satz 1 BGB ein unverjährter Restschadensersatzanspruch in Höhe von EUR 2.027,58 zu (c). Darüber hinaus hat der Kläger gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 179,27 (d).
a. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB auf Erstattung des für das Fahrzeug der Marke Skoda Octavia mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... gezahlten Kaufpreises (EUR 28.900,00) abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von ihm gezogenen Nutzungen in Höhe von EUR 14.729,56 und abzüglich des erzielten Veräußerungserlöses in Höhe von EUR 8.500,00.
Im Einzelnen:
Die Beklagte hat dem Kläger in einer im Sinne des § 826 BGB gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt (vgl. zur Herstellerhaftung aus § 826 BGB im Rahmen des sog. Abgasskandals BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1963 ff.).
Die Beklagte hat die Typgenehmigung für das o. g. Fahrzeug durch eine arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes - KBA - erschlichen. Dies steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Klägers gleich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1965).
Die installierte Motorsteuerungssoftware enthielt mit der "Umschaltlogik" eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1963 f.).
Die Beklagte hat dem KBA bei der Erlangung der (jeweiligen) Typgenehmigungen durch das Verwenden der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgespiegelt, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, und sie hat dadurch über das Einhalten der gesetzlichen Abgaswerte getäuscht, um die Typgenehmigung auf kostengünstigem Weg zu erhalten. Die Abschalteinrichtung wurde auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung über Jahre hinweg nicht nur im Unternehmen der Beklagten selbst, sondern auch bei mehreren Tochterunternehmen in verschiedenen Fahrzeugmodellen durch aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware zur Beeinflussung der Abgasrückführung in die Motorsteuerung eingebaut, wobei bei einer Entdeckung der verwendeten Software gemäß § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte erfolgen können (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1964 f.).
Die vorgenannte arglistige Täuschung gegenüber dem KBA steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Klägers als Käufer des oben näher bezeichneten Fahrzeugs gleich.
Es besteht ein erhebliches Ungleichgewicht im Hinblick auf das b...