Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerrufsbelehrung zum Darlehensvertrag: Zur Frage der Wesentlichkeit von Abweichungen von der Musterbelehrung
Normenkette
BGB-InfoV § 14; BGB § 355
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Entscheidung vom 27.04.2017; Aktenzeichen 3 O 83/16) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 27.04.2017 verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden - 3. Zivilkammer, Az.: 3 O 83/16 - wie folgt geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 41.061,78 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.07.2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 63% und die Beklagte 37% zu tragen.
Dieses Urteil und - im Umfang der Zurückweisung - das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für die zweite Instanz auf EUR 109.861,51 festgesetzt.
Gründe
I. Die Kläger nehmen die Beklagten nach dem Widerruf von zwei Darlehensverträgen und zwei Ergänzungsvereinbarungen zu bereits bestehenden grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensverträgen auf Rückzahlung der geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen in Anspruch.
Wegen des der Entscheidung zugrunde liegenden Lebenssachverhalts wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Widerrufsbelehrungen hinsichtlich des ersten und zweiten Darlehensvertrags nicht zu beanstanden seien.
Zwar enthalte die Widerrufsbelehrung des ersten Darlehens die in der Rechtsprechung als unklar beanstandete Formulierung "Die Frist beginnt frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung"; allerdings könne sich die Beklagte auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters berufen, da sie die dort vorgesehene Musterbelehrung keiner eigenständigen Bearbeitung unterzogen habe. Die von der Beklagten eingefügten Fußnoten richteten sich ersichtlich an den Bankmitarbeiter bei der Ausfüllung des Formulars und nicht an den Verbraucher, so dass sie keine Auswirkung auf den redaktionellen Inhalt der Widerrufsbelehrung hätten. Auch der Zusatz über finanzierte Geschäfte sei unschädlich, da er inhaltlich nicht falsch, sondern allenfalls überflüssig sei.
Die Widerrufsbelehrung des zweiten Darlehens sei ebenfalls ordnungsgemäß, da sie die falsche Formulierung mit dem "frühestens" nicht enthalte. Deswegen bedürfe es keines Mustervertrauensschutzes, so dass es auf die vorgenannten Fragen nicht ankäme.
Im Hinblick auf die beiden Forwarddarlehen habe es keiner erneuten Widerrufsbelehrung bedurft. Insoweit sei entscheidend, dass sich die Willenserklärung auf ein bereits bestehendes Darlehensverhältnis bezogen habe. Sinn des Forwarddarlehens sei die Fortführung des alten Darlehens über die Zinsbindungsfrist hinaus. Sowohl die Darlehensverträge der Beklagten als auch die Ergänzungen enthielten die vertragliche Vereinbarung, dass die Kredite nach Ablauf der Kreditbindungsfrist gerade nicht automatisch fällig würden, sondern ohne Tätigwerden der Parteien zu veränderlichen Konditionen weiterliefen. Aufgrund dieser eindeutigen Formulierungen sei klar, dass sich die Vereinbarungen gerade nicht auf den Abschluss eines neuen, beziehungsweise eigenständigen Kapitalnutzungsrechts gerichtet seien. Auch die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung für die verfrühte Änderung des Zinssatzes stelle insoweit das Weiterbestehen des ursprünglichen Darlehens nicht in Frage.
Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er die Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung begehrt und seinen erstinstanzlich zuletzt erhobenen Zahlungsanspruch in Höhe von EUR 109.861,51 weiter verfolgt.
Der Kläger rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Der Widerruf des ersten Darlehensvertrags vom 03.07.2016 sei wirksam, da die Widerrufsbelehrung fehlerhaft gewesen sei. Bereits der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom 12.07.2016 (IX ZR 564/15) entschieden, dass die streitgegenständliche Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß sei. Hierzu verhalte sich das Landgericht überhaupt nicht.
Im Hinblick auf den Widerruf des zweiten Darlehens vom 16.10.2009 befasse sich das Landgericht überhaupt nicht mit den in erster Instanz bereits vorgetragenen Rügen der Widerrufsbelehrung.
Die beiden Forward-Darlehen vom 12.06.2006 und 29.07.2006 konnten ebenfalls widerrufen werden; das Landgericht habe den klägerischen Vortrag hierzu vollständig ignoriert. Dem Kläger stehe ein Widerrufsrecht entweder nach § 495 BGB a.F. oder nach § 312d Abs. 1 BGB a. F. zu, da zumindest Fernabsatzverträge ...