Entscheidungsstichwort (Thema)
Quasinegatorischer Beseitigungsanspruch: Entfall der Privilegierung einer Grenzgarage
Leitsatz (amtlich)
Ein mit Terrasse, Lichtkuppeln und Glasfalttüren ausgestattetes Gebäude stellt bereits seiner baulichen Gestaltung nach keine Garage dar, sondern dient dem Aufenthalt von Menschen. Hierdurch entfällt seine bauordnungsrechtliche Privilegierung als Grenzgarage.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 1004 Abs. 1; HBO § 6 Abs. 5, 10
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 13.06.2020; Aktenzeichen 2-32 O 350/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13.6.2020 verkündete Urteil der 32. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert und der Beklagte weiter verurteilt, sein unmittelbar an der Grundstücksgrenze des Grundstücks des Beklagten, A-Straße ..., zum Grundstück der Klägerin, C-Straße ..., beide Stadt1, errichtetes Gebäude zu beseitigen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat der Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 16.000 EUR abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I. Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Stadt1; die Klägerin des Anwesens C-Straße ... und der Beklagte des Anwesens A-Straße .... Sie streiten darüber, ob ein auf dem Beklagtengrundstück befindliches Garagengebäude beseitigt werden muss.
Nachdem der Beklagte im Jahr 2017 eine Genehmigung nach § 172 BauGB für die "Sanierung einer Doppelgarage mit Abstellraum" (Bl. 36 ff., 42 ff. d.A.) erwirkt hatte, ließ er die auf seinem Grundstück vorhandene Garage abreißen und begann mit den Bauarbeiten eines neuen Garagengebäudes. Noch während der Bauarbeiten erließ das Amtsgericht Stadt1 auf Antrag der Klägerin eine einstweilige Verfügung, mit der dem Beklagten der Weiterbau des Garagengebäudes untersagt wurde. Auf den Widerspruch des Beklagten hob das Amtsgericht die einstweilige Verfügung später wieder auf. Gegen dieses Urteil des Amtsgerichts legte die Klägerin erfolglos Berufung ein. Der Beklagte stellte das Garagengebäude in der Folge fertig. Wegen der Gestaltung des Gebäudes, der Zufahrtsmöglichkeiten sowie der Parksituation vor der Zufahrt zum Grundstück des Beklagten wird auf die zur Akte gereichten Lichtbilder Bezug genommen (vgl. Bl. 7 f., 89 ff., 111 ff., 143 ff., 154 ff., 168 ff., 176 ff., 219 ff., 273 ff und 293 d.A.). Zusätzlich zum Garagengebäude errichtete der Beklagte unmittelbar an der Grundstücksgrenze zur Klägerin eine Sichtschutzwand, die etwa drei Meter hoch war.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Beseitigung des an der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes, hilfsweise dessen teilweisen Rückbau sowie den Rückbau der Sichtschutzwand auf nicht mehr als zwei Meter Höhe.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte müsse das von ihm errichtete Gebäude beseitigen, weil es die Mindestabstandsfläche nicht einhalte und auch nicht im Sinne der Hessischen Bauordnung (HBO) privilegiert sei. Der Beklagte nutze das Garagengebäude zweckwidrig als Aufenthaltsraum. Lediglich um eine Garagennutzung vorzuspiegeln, habe er ein Fahrzeug vom Typ Marke1 angeschafft, das aber ansonsten ungenutzt auf der Straße vor dem Anwesen des Beklagten geparkt sei.
Der Beklagte hat hingegen die Auffassung vertreten, das von ihm errichtete Gebäude müsse als privilegiertes Bauvorhaben nach § 6 Abs. 10 S. 1 Nr. 1 HBO (sog. Grenzgarage) keine Mindestabstandsfläche einhalten. Seit seiner Fertigstellung werde das Gebäude regelmäßig zum Abstellen von Fahrzeugen benutzt.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.
Mit Anerkenntnisteil- und Schlussurteil vom 13.6.2020 (Bl. 462 - 472 d.A.), auf das ergänzend - auch wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge - gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen wird, hat es den Beklagten seinem Anerkenntnis gemäß verurteilt, die von ihm errichtete Sichtschutzwand auf eine Höhe von nicht mehr als zwei Meter zurückzubauen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt: Die vom Beklagten neu errichtete Garage beeinträchtige nicht das Eigentum der Klägerin, weil sie gemäß § 6 Abs. 10 S. 1 Nr. 1 HBO zulässigerweise an der Grundstücksgrenze errichtet worden sei. Der Beklagte schulde auch keinen teilweisen Rückbau der Garage. Zwar seien sowohl die nach § 6 Abs. 10 S. 3 HBO zulässige Wandfläche als auch die hiernach zulässige Wandhöhe überschritten. Da die sichtbare Fläche aber nicht über das Maß der zulässigen Fläche hinausgehe, sei der Schutzweck der Norm eingehalten, mit der Folge, dass eine Rückbauverpflichtung nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ausscheide.
Gegen das der Klägerin am 23.6.2020 (Bl. 488 d.A.) zugestellte Urteil hat sie am 10.7.2020 Berufung eingelegt und diese nach bis zum 24.9.2020 gewährter Fri...