Entscheidungsstichwort (Thema)
Dieselskandal: Nur auf dem Prüfstand wirkende schadstoffmindernde schnelle Aufwärmfunktion kann Anspruch nach § 826 BGB begründen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Einbau einer Motoraufwärmfunktion, die auf den Prüfstand zugeschnitten ist und im realen Straßenbetrieb nur in so seltenen Ausnahmefällen wirkt, dass nicht angenommen werden kann, sie solle dort überhaupt eine echte schadstoffmindernde Wirkung haben, ist ersichtlich auf die Manipulation der auf dem Prüfstand ermittelten Wert angelegt. Sie kann als unzulässige Abschalteinrichtung, über deren Vorliegen das Kraftfahrtbundesamt getäuscht wurde, eine sittenwidrige Schädigung des Fahrzeugkäufers begründen.
2. Prozesszinsen sind bei fortlaufend ansteigendem Nutzungsersatz, der im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen ist und den Kaufpreiserstattungsanspruch vom Zeitpunkt der Rechtshängigkeit an bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht kontinuierlich vermindert, nicht aus dem letztlich in der Hauptsache zuerkannten Betrag zuzusprechen. Zu verzinsen ist für diesen Zeitpunkt vielmehr der Mittelwert aus dem zuerkannten Betrag und dem Anspruch, der am Tag nach Rechtshängigkeit bestand.
Normenkette
BGB §§ 291, 826
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.09.2019; Aktenzeichen 2-13 O 86/19) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. September 2019 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels des Klägers teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 50.899,14 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 21. Januar 2021 und aus 52.676,96 Euro vom 11. April 2019 bis zum 20. Januar 2021 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Audi SQ5 3.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 989,13 Euro nicht anrechenbare Kosten für die außergerichtliche Interessenvertretung ihres Prozessbevollmächtigten zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreites erster Instanz trägt der Kläger 18 % und die Beklagte 82 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 23 % und die Beklagte 77 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des gegen sie zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Zahlung von Schadensersatz nach dem Kauf eines von der Beklagten hergestellten Neuwagens, der mit einem von der Beklagten entwickelten Dieselmotor ausgestattet ist.
Der Kläger erwarb das Fahrzeug Audi SQ5 im November 2015 zu einem Kaufpreis in Höhe von 63.816,44 Euro brutto als Neuwagen von einem Autohaus. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Emissionsklasse EU6 plus erteilt.
Das Kraftfahrtbundesamt teilte am 23. Januar 2018 öffentlich mit (Anlage K1 = Bl. 33 d.A.), bei der Überprüfung mehrerer 3,0 Liter-Modelle der Beklagten, darunter das streitgegenständliche Modell SQ5, seien unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen worden. Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Aufwärmfunktion springe nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibe diese NOx-Schadstoffminderung. Von den daher erfolgten verpflichtenden Rückrufen seien in Deutschland rund 77.600 und weltweit rund 127.000 zugelassene Fahrzeuge betroffen.
Im Februar 2019 - vor Klageerhebung - ließ der Kläger das auf die Anordnung des Kraftfahrtbundesamtes entwickelte und durch dieses freigegebene Softwareupdate durchführen. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 21. Februar 2019 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 7. März 2019 vergeblich auf, die streitgegenständlichen Ansprüche zu erfüllen.
Der Kläger hat vorgetragen, das Fahrzeug verfüge über eine Motorsteuerungssoftware, welche den Ausstoß von Stickoxid im Prüfstandbetrieb, den sie erkenne, optimiere. Im realen Straßenverkehr werde der Ausstoß hingegen nicht optimiert, so dass die Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten würden. Insbesondere werde der Schadstoffausstoß beim Kaltstart nur auf dem Prüfstand gemindert. Die Typgenehmigung sei arglistig erschlichen worden. Der Vorstand der Beklagten sei angesichts der Tragweite dieser Manipulation und wegen vorheriger Warnungen in die Entscheidung eingebunden gewesen. Entsprechendes gelte für den Leiter des Entwicklungsteams des streitgegenständlichen Motors, bei dem es sich um einen verfassungsmäßig berufenen Vertreter des Vorstands gemäß § 31 BGB handle.
Die Beklagte hat entgegnet, die klägerische Behauptung...