Entscheidungsstichwort (Thema)

Wettbewerbsrechtliche Anforderungen an das Angebot fakultativer Zusatzleistungen bei Flugbuchungen; rechtsmissbräuchliche Abmahn- und Verfolgungstätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem "opt-in"-Erfordernis des Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 wird grundsätzlich auch dann genügt, wenn der Kunde sich "aktiv" für oder gegen die Inanspruchnahme der fakultativen Zusatzleistung (hier: Versicherung) entscheiden muss, d.h. den Buchungsvorgang erst nach dieser Entscheidung fortsetzen kann (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).

2. Zusätzliche Hinweise, die im unter Ziffer 1. genannten Fall den Nutzer zur Inanspruchnahme der Zusatzleistung veranlassen sollen, sind unzulässig, wenn sie unzutreffende Angaben (§ 5 UWG) enthalten oder den Nutzer unsachlich beeinflussen (§ 4 Nr. 1 UWG); dabei ist an das Maß der noch zulässigen Beeinflussung ein eher strenger Maßstab anzulegen.

3. Die Vorschrift des Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 enthält auch das Gebot der Angabe des Gesamtpreises für die angebotene Zusatzleistung.

4. Ein objektives Missverhältnis zwischen dem Umfang der wettbewerbsrechtlichen Abmahn- und Verfolgungstätigkeit und dem Umfang der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ist zwar ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne von § 8 IV UWG. Der Vorwurf, dass das Unternehmen in Wahrheit seinem Anwalt Gebührenerstattungsansprüche verschaffen will, setzt aber die weitere Feststellung voraus, dass der Anwalt seinen Mandanten im Innenverhältnis von den mit der Abmahn- und Verfolgungstätigkeit übernommenen Kostenrisiken freigestellt hat (im Streitfall im Hinblick auf die Gesamtumstände verneint).

 

Normenkette

EGVO 1008/2008 Art. 23; UWG § 4 Nr. 1, §§ 5, 8 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.03.2015; Aktenzeichen 3-10 O 154/10)

 

Tenor

Die Berufungen beider Parteien gegen das am 16.3.2015 verkündete Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt a.M. werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist rechtskräftig.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin betreibt ein Flugbuchungsportal, über welches neben Flügen als fakultative Nebenleistung auch Umbuchungs- und Versicherungsschutz vermittelt werden kann. Nach Auswahl einer Flugverbindung kann der Nutzer den Buchungsvorgang nur fortsetzen, wenn er sich durch Anklicken entsprechender Felder für oder gegen die Nebenleistung entschieden hat. Lehnt er die Nebenleistung ab, erscheinen Hinweise des unter II. 2. wiedergegebenen Inhalts. Die Versicherungsleistungen haben eine Mindestlaufzeit von einem Jahr; als Preis hierfür wird nur die monatliche Prämie angegeben.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313a ZPO abgesehen.

II. Beide Berufungen sind zulässig, haben jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der erforderliche Verfügungsgrund, den das LG mit zutreffenden Gründen bejaht hat, ist auch in der Berufungsinstanz weiterhin gegeben. Insbesondere kann der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des erkennenden Senats zum Dringlichkeitsverlust durch Ausnutzung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist (vgl. WRP 2013, 385, [...]. Tz. 12; OLGR 2001, 331) eine zögerliche Verfolgung des Verfügungsbegehrens im Berufungsverfahren nicht vorgeworfen werden, nachdem sie die Berufungsbegründung jedenfalls nach einem Hinweis auf die mit einer Ausschöpfung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist verbundenen Konsequenzen für den Verfügungsgrund zeitnah und vor Ablauf der verlängerten Frist eingereicht hat.

Wie das LG zutreffend angenommen hat, stehen der Antragstellerin die mit dem angefochtenen Urteil zuerkannten Unterlassungsansprüche aus § 8 III Nr. 1 UWG i.V.m. mit den jeweils verletzten wettbewerbsrechtlichen Vorschriften zu; insbesondere kann der Antragstellerin nach dem Sach- und Streitstand des vorliegenden Eilverfahrens ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen (§ 8 IV UWG) nicht vorgeworfen werden. Dagegen hat das LG hinsichtlich der weiteren Unterlassungsansprüche den Eilantrag mit Recht zurückgewiesen, weil die jeweils angegriffene Werbung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu beanstanden ist.

1. Buchstabe a der Beschlussverfügung ("Auswahlzwang"):

Der Verfügungsanspruch besteht nicht.

Der Unterlassungsantrag richtet sich sowohl bei der Variante "Umbuchungsschutz" als auch bei der Variante "Reiseversicherungsschutz" allein gegen den "Auswahlzwang", wie er sich auf den eingeblendeten Masken darstellt.

Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (GRUR 2015, 400; GRUR-RR 2015, 339), wird dem "opt-in"-Erfordernis des Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 grundsätzlich auch dann genügt, wenn der Kunde sich "aktiv" für oder gegen die Inanspruchnahme der fakultativen Zusatzleistung entscheiden muss, d.h. den Buchungsvorgang erst nach dieser Entscheidung fortsetzen kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach der konkreten Ausgestaltung des Buchungsvorgangs die Möglichkeit, auf die Zusatzleistung zu verzichten, derart "...

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