Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 847 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Aktenzeichen 8 O 517/99)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des LG Kassel vom 26.4.2001 (8 O 517/99) wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers wird das angefochtene Urteil teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 9.248,70 Euro (18.088,88 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 16.1.1999 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 76 % und die Beklagten 24 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt für den Kläger 26.156,26 Euro (51.157,20 DM) und für die Beklagten 9.248,70 Euro (18.088,88 DM).

 

Tatbestand

Der am 24.8.1966 geborene und verheiratete Kläger nimmt den Beklagten zu 1) als behandelnden Arzt und die Beklagte zu 2) als Klinikträgerin auf Zahlung von Schmerzensgeld und auf materiellen Schadensersatz mit dem Vorwurf in Anspruch, der Beklagte zu 1) habe ihm im Rahmen der Behandlung an einem akut bösartigen Keimzellentumor, durch welche letztlich seine Unfruchtbarkeit verursacht worden sei, von der vor Beginn der Behandlung bestandenen Möglichkeit, eine Samenspende abzugeben und im Wege des Einfrierens konservieren zu lassen – sog. Kryokonservierung –, abgeraten und ihm so die Möglichkeit, weiteren Nachwuchs zu zeugen, zerstört. Die Beklagten berufen sich auf den höchst akut lebensbedrohlichen Zustand des Klägers, angesichts dessen Fragen zukünftiger Familienplanung völlig in den Hintergrund getreten seien, und darauf, der Beklagte zu 1) habe den Kläger und seine Ehefrau sachlich zutreffend aufgeklärt und ihnen die eigenständige Entscheidung über die prächemotherapeutische Abgabe einer Samenspende überlassen.

Der Kläger erlitt erstmals im Juli 1996 plötzlich auftretende krampfartige Magen- und Darmbeschwerden im Bereich des Epigastriums (Oberbauch). Im August traten diffuse abdominelle (im Bauchraum) Schmerzen sowie Flankenschmerzen beidseits auf. Am 13.8.1996 suchte er das R. K. Krankenhaus in K. zur stationären Abklärung seiner Beschwerden auf. Während seines bis zum 17.8.1996 andauernden Krankenhausaufenthalts wurde der Verdacht auf ein Lymphom (Lymphknotenvergrößerung), insbesondere der retroperitonealen Lymphknotenstationen (hinter dem Bauchfell gelegene Lymphknoten) bei gleichzeitiger Metastasierung in Leber und Lunge geäußert. Zu der vorgesehenen erneuten stationären Aufnahme am 20.8.1996 wurde der Kläger auf seinen Wunsch in die Chirurgische Abteilung der Städtischen Kliniken K. verlegt. Von dort gelangte er am 21.8.1996 in die Abteilung für Urologie. Hier wurde alsbald der Verdacht auf einen primär extragonadalen retroperitonealen Keimzellentumor geäußert (außerhalb der Keimdrüsen gelegener Keimzellentumor mit Metastasen im Hinterbauchraum). Man musste davon ausgehen, dass vor allem die Lunge wie auch die Leber des Klägers bereits mit Metastasen befallen waren.

Der Beklagte zu 1) beabsichtigte, eine sofortige Chemotherapie durchzuführen, die am (Montag, dem) 26.8.1996 begonnen werden sollte. Hierzu führte er am (Freitag, dem) 22.8.1996 ein Aufklärungsgespräch mit dem Kläger und dessen Ehefrau, der im Berufungsrechtszug als Zeugin vernommenen K. K., die zu jenem Zeitpunkt im fünften Monat schwanger war. Die Eheleute erwarteten ihr erstes Kind.

Im Rahmen dieser Besprechung wurden dem Kläger und seiner Ehefrau die rasche Einleitung einer chemotherapeutischen Behandlung, deren voraussichtliche Dauer, mögliche Nebenwirkungen und Risiken vorgestellt. Zumindest beiläufig wurde seitens des Klägers und seiner Ehefrau die Möglichkeit einer Samenspende nachgefragt. Nach dem Vorbringen der Beklagten im ersten Rechtszug (Klageerwiderungsschrift vom 21.4.1999, S. 2; Bl. 13 Bd. I d.A.) erläuterte der Beklagte zu 1) daraufhin, dass die Wahrscheinlichkeit eines irreversiblen Keimzellenschadens durch eine Standardchemotherapie als sehr niedrig anzusehen sei. Zwar könne eine exakte Prognose nicht gestellt werden, es sei aber nach Ablauf von ein bis zwei Jahren mit einer Restitution des Keimepithels im Hoden, nämlich mit einer weitgehenden Wiederherstellung der Fertilität (Fruchtbarkeit) des Klägers zu rechnen. Eine Samenspende vor Beginn der zytostatischen Therapie sei zwar theoretisch möglich, medizinisch aber nicht indiziert. Sie sei außerdem mit einem erheblichen logistischen Aufwand verbunden, da eine Kryokonservierung der Spermien in der K. Klinik nicht vorgenommen werden könne. Demgegenüber sei eine unverzügliche Einleitung der Chemotherapie unabdingbar erforderlich.

Der weitere Inhalt dieses Aufklärungsgespräches ist zwischen den Parteien streitig.

Am folgenden Tag, (Freitag, dem) 23.8.1996, wurde der Kläger auf eigenen Wunsch kurzzeitig aus der stationären Behandlung beurlaubt, weil er seinen am 24.8.1996 anstehenden 30. Geburtstag zu Hause verbringen wollte. Am (Montag, dem) 26.8.1996 kehrte e...

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