Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungsfreiheit des Krankenversicherers bei Beginn des Versicherungsfalls vor Vertragsschluss

 

Leitsatz (amtlich)

Erfordert eine akute Parodontosebehandlung aufgrund der Schwere der Grunderkrankung eine engmaschige Nachsorge durch regelmäßige Erhebung des Parodontosestatus, bilden Akut- und Nachsorgebehandlung einen einheitlichen Versicherungsfall in der privaten Krankenversicherung. Der Versicherungsfall wird nicht dadurch beendet, dass die medizinisch gebotene Nachsorgebehandlung in medizinisch nicht vertretbarer Weise unterbleibt.

 

Normenkette

MB/KK 2009 § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1; VVG § 192 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 13.03.2020; Aktenzeichen 1 O 45/16)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Limburg vom 13. März 2020 (1 O 45/16) wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen

Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Versicherungsleistungen aus einer Zahnzusatzversicherung.

Im Jahr 2004 begab die Klägerin sich wegen einer Parodontose im Oberkiefer in Behandlung bei dem mittlerweile verstorbenen Parodontologen A. Im Krankenblatt der Zahnärztin der Klägerin, der Zeugin B, ist ferner im Jahr 2006 eine "tiefe parodontale Tasche" vermerkt. Die Zeugin fertigte am 18.10.2010 eine röntgenologische Einzelaufnahme der Zahnregion 17-13 und am 14.02.2011 eine Einzelaufnahme der Region 23-27, wobei die Indikation für die Röntgenuntersuchung nicht dokumentiert ist.

Am 19.03.2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten den Abschluss einer Zahnzusatzversicherung. Diese kam mit dem technischen Versicherungsbeginn 01.04.2012 in den Tarifen "X.flexi Zahnersatz top" und "X.flexi Zahnbehandlung" zustande, wobei eine Wartezeit von acht Monaten vereinbart war. Hiernach leistet die Beklagte für medizinisch notwendigen Zahnersatz i.H.v. 80% der Kosten. Dem Versicherungsverhältnis liegen unter anderem die "X-Grundbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung als Ergänzung der gesetzlichen Krankenversicherung. Allgemeine Versicherungsbedingungen. Version 06.2006" - X-AVB und die "X-Zusatzbedingungen für den Baustein Zahnersatz top Version 06.2007" der Beklagten zugrunde. Nach § 1 Abs. 2 S. 2 X-AVB beginnt der Versicherungsfall mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Nach § 2 Abs. 1 X-AVB wird für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, nicht geleistet. Am 14.05.2013 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für eine Oberkiefersanierung, was die Beklagte ablehnte, da der Versicherungsfall in Form einer Parodontose bereits vor Versicherungsbeginn eingetreten sei. Die Klägerin wendete für die dennoch im Jahr 2015 durchgeführte Zahnersatzbehandlung im Oberkiefer 13.905,48 EUR auf.

Die Klägerin hat vorgetragen, in den Jahren 2011 und 2012 habe wegen der Parodontose kein Behandlungsbedarf bestanden, weil die Zähne keine Lockerungen aufgewiesen hätten. Die damals gefertigten Röntgenaufnahmen hätten anderen therapeutischen Zwecken gedient. Sofern hieraus eine schwerwiegende Parodontose ersichtlich sei, sei ein Hinausschieben der Behandlung zum damaligen Zeitpunkt eine gut vertretbare Alternative gewesen. Die Behandlung bei dem Parodontologen A im Jahr 2004/2005 sei ohne weiteren Behandlungsbedarf abgeschlossen worden.

Die Beklagte hat vorgetragen, die streitgegenständlichen Behandlungsmaßnahmen stünden mit dem bereits objektiv vor Versicherungsbeginn festzustellenden Behandlungsbedarf in einem ursächlichen Zusammenhang.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten der Zahnärztin C vom 14.12.2016 (Bl. 132 ff. d.A.) nebst drei Ergänzungsgutachten vom 25.03.2017 (Bl. 165 ff. d.A.), vom 05.09.2017 (Bl. 200 ff. d.A.) und vom 01.03.2018 (Bl. 233 d.A.) sowie hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Anhörung der Sachverständigen auf das Protokoll vom 29.11.2018 (Bl. 299 d.A.) sowie hinsichtlich des nachfolgend erstellten vierten Ergänzungsgutachtens auf das schriftliche Gutachten vom 08.12.2019 (Bl. 424 ff. d.A.) verwiesen. Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Übrigen und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit Urteil vom 13.03.2020 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte könne sich auf den Einwand der Vorvertraglichkeit berufen. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen bestünden keine Zweifel, dass bereits vor dem Versicherungsantrag ein Versicherungsfall im Oberkiefer der Klägerin vorgelegen habe, der kausal für die nunmehr geltend gemachten Behandlungskosten sei.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel in einem Umfang von 80% der erstinstanz...

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