Leitsatz (amtlich)
Die Tatsache, dass das Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht in die Kreuzung einfuhr, verringerte die von dem Fahrer des Rettungswagens zu beobachtende Sorgfalt nur insofern, als ihm die Inanspruchnahme von Sonderrechten gem. §§ 35 und 38 StVO erlaubt, unter Benutzung eines für die Gegenfahrtrichtung vorgesehenen Abbiegestreifen in die Kreuzung einzufahren. Weder § 35 StVO noch § 38 StVO erlauben dem Einsatzfahrer aber ein Fahren ohne Rücksicht auf die sonstigen Verkehrsteilnehmer.
Normenkette
StVO §§ 35, 38
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 06.12.2010; Aktenzeichen 8 O 199/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer des LG Darmstadt vom 6.12.2011 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Wegen der Feststellungen und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen landgerichtlichen Urteils (Bl. 121 ff. d.A.) verwiesen.
Das LG hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 5.853,55 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 12.4.2011 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen.
Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel einer vollständigen Klagabweisung weiter verfolgen. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens wird insbesondere auf die Berufungsbegründung vom 11.4.2012 (Bl. 161 ff. d.A.) und den Schriftsatz vom 10.7.2012 (Bl. 185 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagten beantragen, das am 6.12.2011 verkündete Urteil des LG Darmstadt (Az. 8 O 199/11) abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens wird insbesondere auf die Berufungserwiderung vom 14.6.2012 (Bl. 180 ff. d.A.) Bezug genommen.
II. Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Ersatz seiner bei dem Verkehrsunfall vom ...03.2010 entstandenen materiellen Schäden aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 17, 18 StVG.
1. Der Unfall hat sich i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des Rettungsfahrzeugs ereignet. Die Haftung der Beklagten ist nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, denn der Unfall war nicht durch höhere Gewalt verursacht.
2. Die Haftung der Beklagten ist auch nicht nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG ausgeschlossen, denn der Unfall ist nicht durch ein für den Fahrer des Einsatzfahrzeuges unabwendbares Ereignis verursacht worden. Die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten haben nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1) jede nach den Umständen des Einzelfalls erforderliche Sorgfalt beobachtet hat.
a) Unstreitig hat das Einsatzfahrzeug der Beklagten zur Unfallzeit Sonderrechte nach §§ 35, 38 StVO Anspruch genommen. Der Beklagte zu 1) war gem. § 35 Abs. 5a StVO von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, da höchste Eile geboten war, um Menschenleben zu retten; der Notfalleinsatz sollte der Reanimation eines Menschen dienen (Bl. 90 d.A.).
b) Auch bei einer Sonderrechtsfahrt sind gem. § 35 Abs. 8 StVO die öffentliche Sicherheit und Ordnung gebührend zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 38 StVO führt auch nicht zur Umkehrung des Vorfahrtsrechts. Sie lässt vielmehr die Regelung der Vorfahrt an Kreuzungen unberührt. Die allgemeinen Maßstäbe werden aber dahingehend abgewandelt, dass die andern Verkehrsteilnehmer auf ihr Vorfahrtsrecht vorübergehend verzichten müssen, wenn sie die besonderen Zeichen bemerkt haben (OLG Brandenburg, Urt. v. 13.7.2010 - 2 U 13/09, juris).
Die Tatsache, dass das Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht in die Kreuzung einfuhr, verringerte daher die von dem Fahrer des Fahrzeugs zu beobachtende Sorgfalt nur insofern, als ihm die Inanspruchnahme von Sonderrechten gem. §§ 35 und 38 StVO erlaubte, unter Benutzung eines für die Gegenfahrtrichtung vorgesehenen Abbiegestreifen in die Kreuzung einzufahren. Weder § 35 StVO noch § 38 StVO erlauben dem Einsatzfahrer aber ein Fahren ohne Rücksicht auf die sonstigen Verkehrsteilnehmer.
Der Beklagte zu 1) durfte daher unter Anwendung größtmöglicher Sorgfalt über die eigentlich nicht dafür vorgesehene Fahrspur entgegen der regulären Fahrtrichtung fahren, da der eigentlich dafür vorgesehene Linksabbiegerstreifen blockiert war, musste sich aber davon überzeugen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht, die Kreuzung in Richtung Stadt1 zu überqueren, eingestellt hatten (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 13.7.2010 - 2 U 13/09, NZV 2011, 26).
Dies war hier der Fall hinsichtlich der anderen Verkehrsteilnehmer, die unstreitig im Kreuzungsbereich standen.
Hinsichtlich der Zeugin Z1 haben die Beklagten den Nachweis, dass diese ebenfalls gestanden hat, nicht erbracht. Selbst wenn man mit der Berufung der Aussage der Zeugin Z2...