Entscheidungsstichwort (Thema)

VW-Diesel-Skandal: Keine deliktische Haftung des Herstellers bei Gebrauchtwagenkauf im August 2016 nach Hinweis des Vertragshändlers auf Betroffenheit des PKW von dem sog. Abgasskandal

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der für eine Schadensersatzpflicht erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem grundsätzlich haftungsbegründenden Verhalten der Beklagten, das in der Entwicklung und dem Inverkehrbringen der mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeuge liegt, kann aufgrund der seit 22.9.2015 von der Beklagten eingeleiteten Maßnahmen jedenfalls hinsichtlich eines im August 2016 geschlossenen Kaufvertrages unterbrochen sein.

2. Weiß der Käufer, dass das von ihm erworbene Fahrzeug konkret von mit dem vom Abgasskandal betroffenen Motor EA 189 ausgestattet ist, stellt der in Kenntnis dieses Umstands im August 2016 getroffene Entschluss für den Abschluss des Kaufvertrages regelmäßig eine, den Kausalverlauf unterbrechende eigenverantwortliche Entscheidung des Käufers dar.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 823, 826; StGB § 263; UWG §§ 3a, 16

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 19.01.2018; Aktenzeichen 2 O 219/18)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 19.1.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Gießen, Az. 2 O 219/18, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf bis zu 19.000 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger wendet sich gegen die Abweisung seiner auf Schadensersatz gerichteten Klage im Zusammenhang mit einem nach Bekanntwerden des sogenannten Abgasskandals abgeschlossenen Gebrauchtwagenkaufvertrag.

Der Kläger schloss am 17.8.2016 mit der Autohaus Stadt1 GmbH einen Kaufvertrag über einen gebrauchten VW Modell1 Typ1. Der Kaufpreis betrug 18.478 EUR. Das Fahrzeug, das dem Kläger am 18.8.2016 mit einer Laufleistung von 74.217 km übergeben wurde, ist mit einem von der Beklagten hergestellten Motor des Typs EA 189 ausgestattet, dessen Motorsteuerung so programmiert war, dass im Falle des Durchlaufens des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), welcher Teil des Typgenehmigungsverfahrens ist, die Abgasrückführung in einen NOx-optimierten Betriebsmodus (Modus 1) versetzt wird, während sie außerhalb des NEFZ im Straßenverkehr im nicht NOx-optimierten Betriebsmodus (Modus 0) operiert. Im Modus 0 ist die Abgasrückführungsrate geringer. Wegen der Fahrzeugdaten im Übrigen wird auf die Kopie der "Verbindlichen Bestellung", Anlage K1 zur Klageschrift, Bl. 20 ff. d.A., Bezug genommen.

Bereits am 22.9.2015 hatte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung gemäß § 15 WpHG veröffentlicht, in der sie auf Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software hingewiesen hatte. Im Rahmen einer Presseerklärung vom selben Tag hatte die Beklagte die Öffentlichkeit darüber informiert, dass bei Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei. Auch die Vertragshändler und Servicepartner wurden hierüber in Kenntnis gesetzt. Im September 2015 hatte die Staatsanwaltschaft Stadt2 unter anderem wegen des Verdachts des Betruges Ermittlungen gegen die Beklagte eingeleitet. Anfang Oktober 2015 hatte die Beklagte außerdem eine Internetseite eingerichtet, auf der durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer überprüft werden konnte, ob das jeweilige Fahrzeug von dem Abgasskandal betroffen ist. Hierüber hatte die Beklagte am 2.10.2015 ihr Händlernetz sowie die Öffentlichkeit im Rahmen einer Pressemitteilung informiert.

Mit Bescheid vom 15.10.2015 hatte das Kraftfahrtbundesamt zudem den verpflichtenden Rückruf aller betroffenen Fahrzeuge gegenüber der Beklagten angeordnet und in einer Presseerklärung öffentlich gemacht, dass es sich bei der verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele und der Beklagten auferlegt worden sei, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge zu ergreifen. Die Beklagte hatte in der Folgezeit ein Software-Update entwickelt und im Rahmen einer Presseerklärung vom 16.12.2015 mitgeteilt, dass die Fahrzeuge nach Durchführung des Updates die jeweils gültigen Abgasnormen erfüllen würden, mit dem Ziel, dies ohne Beeinträchtigung der Motorleistung, des Verbrauchs und der Fahrleistung zu erreichen. Das Software-Update ist vom Kraftfahrt-Bundesamt im Sommer 2016 freigegeben worden. Dieser "Abgasskandal" ist seit September 2015 Gegenstand einer ausführlichen und umfangreichen Medienberichterstattung.

Einige Zeit nach Abschluss des Kaufvertrages ließ der Kläger das Software-Update installieren.

Der Kläger hat im Wesentlichen behauptet, er sei auf der Suche nach einem umweltfreundlichen, spritsparenden und wertstabilen Fahrzeug gewesen, das jederzeit auch in Umweltzonen größerer Städte genutzt werden könne. Die Beklagte habe ihn allerdings über die Gesetzeskonformität des Fahrzeuges und die Abgasw...

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