Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Erbunwürdigkeit trotz versuchter Tötung des Erblassers
Normenkette
StGB § 213; BGB § 2339 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 27.05.2013; Aktenzeichen 2 O 417/12) |
BGH (Aktenzeichen IV ZA 15/14) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 27.5.2013 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Gießen abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger ist der Sohn des Beklagten. Er begehrt, dass der Beklagte als Erbe seiner Ehefrau X, der Mutter des Klägers, für erbunwürdig erklärt wird, dies mit Rücksicht auf einen Tötungsversuch des Beklagten vom ... 20 ...
Die seit 19 ... an Alzheimer erkrankte, seit Ende 2002 in einem Seniorenheim lebende Erblasserin war seit Jahren bettlägerig und zumindest zu einer verbalen Kommunikation nicht mehr in der Lage, sie wurde durch eine Magensonde künstlich ernährt und lag im Wachkoma. Der Beklagte, der als ihr Betreuer mit umfassendem Wirkungskreis bestellt war und sie regelmäßig etwa dreimal in der Woche besuchte - dies zuletzt wegen einer ebenfalls seit Jahren bestehenden, ansteckenden Viruserkrankung der Erblasserin in Schutzkleidung -, kam mit den Belastungen aus dem Zustand seiner Ehefrau nicht mehr zurecht, zumal es auch zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Betreuungsgericht wegen einer größeren Schenkung aus dem Vermögen der Erblasserin an eine Schwester des Klägers gekommen war; in einem schwer depressiven Zustand durchtrennte er schließlich am o.g. Tag mit einer mitgebrachten Schere den Verbindungsschlauch zur Magensonde und widersprach deren erneuter Verbindung, nachdem das Pflegepersonal die Durchtrennung festgestellt hatte. Es gelang dem Pflegepersonal dann jedoch, die Verbindung zu reparieren. Die Erblasserin verstarb einen Monat später an einer Lungenentzündung ohne erkennbaren Zusammenhang mit der Tat des Beklagten. Dieser wurde mit rechtskräftigem Urteil des LG Gießen vom 4.3.2013 (.../12, Kopie Bl. 108 ff. d.A.) wegen versuchten Totschlags in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.
Wegen der näheren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Das LG hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, der Beklagte sei erbunwürdig, weil er vorsätzlich versucht habe, die Erblasserin zu töten, er sei weder schuldunfähig gewesen noch wirksam vom Tötungsversuch zurückgetreten.
Der Beklagte rügt mit seiner Berufung, das LG habe es versäumt, eigenständige Feststellungen zum Tathergang und zu seiner - des Beklagten - Verfassung vor dem Vorfall, insbesondere zu seiner damaligen Schuldunfähigkeit, zu treffen. Das Durchschneiden des Verbindungsschlauchs habe dem mutmaßlichen Willen der Erblasserin besprochen; beide Eheleute hätten früher besprochen gehabt, nicht menschenunwürdig dahin vegetieren zu wollen. Eine versuchte Tötung auf Verlangen im Sinne des § 216 StGB sei kein Erbunwürdigkeitsgrund. Da die Erblasserin auf seine Besuche nach dem Vorfall nicht negativ reagiert habe, sei davon auszugehen, dass sie ihm verziehen habe.
Der Beklagte beantragt, das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.
Die Akte .../12 der Staatsanwaltschaft Gießen war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Berufungsverhandlung.
B. Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Der Beklagte ist des Erbes nach seiner verstorbenen Ehefrau nicht nach § 2339 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BGB unwürdig, ohne dass es darauf ankommt, ob er bei der streitgegenständlichen Tat schuldunfähig war.
I. Mit dem LG ist davon auszugehen, dass der Beklagte vorsätzlich versucht hat, die Erblasserin durch das Durchtrennen des Verbindungsschlauchs zur Magensonde zu töten. Soweit der Beklagte nach Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung erstmals einen Tötungsvorsatz bestritten hat, war dies - abgesehen von Zweifeln an der Substantiierung seines diesbezüglichen Vortrages angesichts des sonstigen Sach- und Streitstandes - nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO ebenso wenig zu berücksichtigen wie der neue Vortrag zur Besprechung zwischen den Eheleuten bezüglich der Vermeidung eines "Dahinvegetierens". Von einem Rücktritt des Beklagten vom Tötungsversuch kann ersichtlich keine Rede sein; der Beklagte hat diesen Einwand in der Berufung zu Recht nicht weiter verfolgt. Dass die im Wachkoma liegende Erblasserin dem Beklagten nicht verzeihen konnte, weil ihr eine entsprechende Will...