Leitsatz (amtlich)
Eine Berufungsverwerfung darf trotz Anwesenheit eines zur Vertretung in der Hauptverhandlung bevollmächtigten Verteidigers nur in einem Fortsetzungstermin erfolgen, zu dem das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet worden ist.
Die Anordnung des persönlichen Erscheinens zum ersten Termin der Berufungshauptverhandlung gem. § 236 StPO ermöglicht dem Gericht lediglich die zwangsweise Vorführung oder den Erlass eines Haftbefehls, nicht jedoch die Verwerfung der Berufung.
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 22.10.2019; Aktenzeichen 705 Ns 87/18) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 5, vom 22. Oktober 2019 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek hat den Angeklagten am 10. Juli 2018 wegen Diebstahls und wegen "vorsätzlicher" Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 8,- Euro verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte mit am 11. Juli 2018 bei dem Amtsgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz Berufung eingelegt.
Zu der auf den 3. Mai 2019 anberaumten Berufungshauptverhandlung ist der Angeklagte nicht erschienen. Der im Termin anwesende Verteidiger hat den Ausdruck einer Bilddatei zur Akte gereicht, welche ein handschriftlich verfasstes Schriftstück folgenden Inhalts erkennen lässt:
"Hamburg 2.5.2019
Hiermit erteile ich ..... geb. 12.07.1964 Herrn RA Dr. T. in der Sache 5 NS 87/16 [sic] Vertretungsvollmacht im Sinne des Paragrafen 329 St [sic]
[gez.] R. F.".
Die Kleine Strafkammer hat die Anwesenheit des Angeklagten für erforderlich erachtet und sein persönliches Erscheinen zum Fortsetzungstermin angeordnet, woraufhin die Hauptverhandlung unterbrochen worden ist. Nachdem der Angeklagte in der Folge zu mehreren Hauptverhandlungsterminen erschienen war, ist die Berufungshauptverhandlung am 26. Juni 2019 ausgesetzt worden.
Zugleich hat die Vorsitzende mit dem Verteidiger neue Hauptverhandlungstermine abgesprochen, das persönliche Erscheinen des Angeklagten zu allen Terminen angeordnet und den Angeklagten unter Übersendung einer Abschrift des Gesetzestextes des § 329 StPO sowie Zeugen geladen.
Zu dem auf den 22. Oktober 2019 anberaumten ersten neuen Hauptverhandlungstermin ist der Angeklagte nicht erschienen. Dagegen hat sich sein anwesender Verteidiger zur Verhandlung auf diejenige Vollmacht berufen, die bereits in Form der ausgedruckten Bilddatei zur Verhandlung am 3. Mai 2019 zur Akte gereicht worden war. Das Landgericht hat daraufhin ohne weitere Verhandlung zur Sache auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Berufung des Angeklagten durch am selben Tag in Abwesenheit des Angeklagten verkündetes Urteil verworfen.
Gegen das Berufungsurteil hat der Verteidiger nach am 8. Dezember 2019 erfolgter Zustellung des Urteils mit am 15. Dezember 2019 bei dem Landgericht eingegangenem Schriftsatz Revision eingelegt, diese mit am 15. Januar 2020 bei dem Landgericht eingegangenem Schriftsatz mit der Sachrüge und der Rüge der Verletzung des § 329 StPO begründet sowie Urteilsaufhebung beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Absatz 2 StPO zu verwerfen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß §§ 341 Absatz 2, 344 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1, 345 StPO erhobene Revision des Angeklagten hat mit der auch den Anforderungen des § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge jedenfalls vorläufigen Erfolg. Das Landgericht hätte die Berufung des Angeklagten im ersten neu anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht ohne weitere Sachbehandlung verwerfen dürfen.
1. Gemäß § 329 Absatz 1 Satz 1 StPO hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.
2: Vorliegend kann offen bleiben, ob der Verteidiger bei Beginn des Hauptverhandlungstermins mit wirksam nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen war, da - eine nicht ordnungsgemäß nachgewiesene Vertretungsvollmacht unterstellt - das Ausbleiben des Angeklagten jedenfalls genügend entschuldigt war.
a) Das Ausbleiben des Angeklagten ist entschuldigt, wenn ihm bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls seine Säumnis billigerweise weder objektiv noch subjektiv zum Vorwurf gemacht werden kann (BayObLGSt 1999, 42; KK/Paul, § 329 Rn. 10; MüKo-StPO/Quentin, § 329 Rn. 29). Auch Unklarheiten infolge undeutlicher Verfahrensvorgänge und nicht selbst verschuldete Rechtsirrtümer des Angeklagten gehören hierher (LR/Gössel, § 329 Rn. 35). Grundsätzlich kann sich der Angeklagte auf Auskünfte seines Verteidigers hinsichtlich des Hauptverhandlungstermins verlassen, wenn er an deren Richtigkeit zu zweifeln keinen Anlass hat (OLG ...