Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 707 Ns 5/00) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Zeugin L. wird der Beschluss des LG Hamburg, Kleine Strafkammer 7, vom 30.11.2001 – betreffend Ordnungsmittel wegen Zeugnisverweigerung – aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zugehörigen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin ist Zeugin in einem vor der Kleinen Strafkammer 7 des LG Hamburg anhängigen Berufungsverfahren, in dem dem Angeklagten Taten aus dem sogenannten Rotlichtmilieu zur Last liegen. In der Hauptverhandlung hat sie ihren früheren Zunamen V. angegeben, sich jedoch geweigert, ihren jetzigen, infolge Namensänderung vom Juni 2001 abweichenden Zunamen zu benennen, weil sie bedroht werde. Hierbei ist sie auch nach Androhung von Ordnungsgeld und -haft geblieben. Mit Kammerbeschluss vom 30.11.2001 hat das LG der Beschwerdeführerin gem. § 70 Abs. 1 StPO die durch ihre Weigerung entstandenen Kosten auferlegt und gegen sie ein Ordnungsgeld i.H.v. 150 DM, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft, festgesetzt, weil eine Gefährdungslage i.S.d. § 68 Abs. 3 StPO nicht bestehe. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Zeugin.
II. Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 Abs. 1 und 2 StPO) und begründet. Die Beschwerdeführerin hat nicht i.S.d. § 70 Abs. 1 StPO das Zeugnis verweigert.
1. § 70 Abs. 1 StPO ermöglicht die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen Zeugen, die ohne gesetzlichen Grund das „Zeugnis” verweigern.
a) Umstritten ist, ob zum „Zeugnis” i.S.d. § 70 Abs. 1 StPO lediglich die Sachangaben, zu denen der Zeuge gem. § 69 StPO vernommen wird, oder auch Angaben zur Person – Vor- und Zunamen, Alter, Stand oder Gewerbe, Wohn- oder Dienstort –, zu denen der Zeuge zu Beginn seiner Vernehmung befragt wird (§ 68 Abs. 1 StPO), zählen.
Nach überwiegender Auffassung umfasst der Anwendungsbereich des § 70 StPO nicht die Angaben zur Person nach § 68 Abs. 1 StPO und darf eine diesbezügliche Aussageverweigerung somit nicht mit den Mitteln des § 70 Abs. 1 und 2 StPO erzwungen bzw. sanktioniert werden (KG JR 1977, 295; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 70 Rz. 1; Dahs in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 70 Rz. 7; Senge in KK-StPO, 4. Aufl., § 70 Rz. 3; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 3. Aufl., Rz. 1085; Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl., § 26 B IV; siehe auch OLG Stuttgart OLGSt StPO § 68 Nr. 1: anerkannte Rechtsauffassung mit beachtlichen Argumenten).
Anderer Auffassung zufolge unterfallen dem § 70 StPO auch die Fragen zur Person (OLG Düsseldorf OLGSt StPO § 70 Nr. 1; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl., Rz. 524 i.V.m. Fn. 423a; siehe auch OLG Celle StV 1988, 373; OLG Koblenz OLGSt StPO § 68 Nr. 2, die auf Beschwerden gegen Ordnungsmittel nach § 70 StPO jeweils ohne Erwähnung der herrschenden Meinung und ohne Problematisierung des Anwendungsbereiches darauf abstellen, ob dem Zeugen gem. § 68 S. 2 a.F. StPO die Nichtangabe seines Wohnortes zu gestatten sei).
b) Die Angaben eines Zeugen zu seiner Person gehören jedenfalls dann nicht zum „Zeugnis” i.S.d. § 70 StPO, wenn – im konkreten Einzelfall – auch ohne sie die Identität des Zeugen geklärt ist und keine Besonderheiten ihre Angabe zur Sachaufklärung erforderlich machen.
Wortlaut und -sinn des „Zeugnisses” lassen keinen sicheren Schluss darauf zu, ob hierunter auch Angaben des Zeugen zur Person fallen. Ebenso lässt die systematische Stellung des § 70 StPO im Anschluss an die §§ 68 und 69 StPO nicht erkennen, ob er sich auf beide oder nur die letzte vorgenannte Vorschrift bezieht.
Der Vergleich mit anderen strafprozessualen Vorschriften zeigt, dass das „Zeugnis” nicht notwendiger Weise auch Angaben zur Person umfasst. So ist anerkannt, dass das Recht, gem. §§ 52 ff. StPO das „Zeugnis” zu verweigern, die Pflicht des Zeugen, Angaben zur Person zu machen, unberührt lässt (vgl. Senge in KK-StPO, 4. Aufl., § 52 Rz. 2).
Demgegenüber unterscheiden die materiellen Vorschriften über die Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB) nicht zwischen wahrheitswidrigen Angaben zur Sache und zur Person. Auch letztere sind als Falschaussage strafbar (vgl. Ruß in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 153 Rz. 3 m.w.N.); das Verschweigen von Tatsachen kann die
Wahrheitspflicht verletzen (vgl. Ruß in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 153 Rz. 2; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., vor § 153 Rz. 16). Eine Gleichstellung der materiell-rechtlichen mit den verfahrensrechtlichen Regelungen ist indes systematisch nicht veranlasst. Unvollständige und teilweise (hier zur Person) verweigerte Aussage unterscheiden sich grundsätzlich. Erstere ist wahrheitswidrig und strafbewehrt; letztere unterfällt nicht den Straftatbeständen der Aussagedelikte und ist allenfalls mit verfahrensrechtlichen Mitteln erzwingbar (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 70 Rz. 5 m.w.N.).
Dahingestellt bleibt, ob aus dem Wesen der Zeugenaussage eine unterschiedliche Behandlung der Personal- und Sachangaben herleitbar ist. Gegensta...