Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergessenes Telefax
Leitsatz (amtlich)
1. Die ordnungsgemäße Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei muss nicht nur sicherstellen, in welcher Weise ein fristwahrendes Schriftstück per Telefax nachprüfbar erfolgreich versandt wird und bei dem Empfänger eintrifft, sondern muss gleichermaßen Sicherungen dafür vorsehen, dass die Anordnung des Telefax-Versandes überhaupt ausgeführt wird.
2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Versendung per Telefax unmittelbar vor Ablauf einer Notfrist erfolgt und die angeordnete Parallelversendung mit normaler Post ungeeignet ist, die Einhaltung der Frist zu gewährleisten.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, §§ 223, 233
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 23.05.2006; Aktenzeichen 312 O 934/05) |
Nachgehend
Tenor
Der Antrag vom 3.7.2006 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen. Die Berufung der Klägerin vom 26.6.2006 gegen das Urteil des LG Hamburg vom 23.5.2006 wird verworfen.
Die Kosten der Berufung sowie des Wiedereinsetzungsantrags fallen der Klägerin zur Last.
Der Streitwert wird auch für die Berufungsinstanz auf 75.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Gegen das am 23.5.2006 verkündete und ihren Prozessbevollmächtigten am 26.5.2006 in vollständiger Form zugestellte Urteil des LG Hamburg hatte die Klägerin mit Schriftsatz vom 26.6.2006 Berufung eingelegt. Dieser an das Hanseatische OLG gerichtete Schriftsatz ist am 28.6.2006 im Original bei der Gemeinsamen Annahmestelle bei dem AG Hamburg eingegangen. Der Schriftsatz trägt im Adressfeld den fettgedruckten Zusatz: "Vorab per Telefax: 040 42843 2097". Eine Vorabversendung per Telefax an das Hanseatische OLG (das allerdings über die Telefaxnummer 4097 erreichbar ist) soll nach Darstellung der Klägerin aber tatsächlich nicht erfolgt sein. Ihr Berufungsschriftsatz vom 26.6.2006 ist im Original erst 2 Tage nach der gem. § 517 ZPO bereits am 26.6.2006 abgelaufenen Berufungsfrist - und damit verspätet - bei Gericht eingegangen.
Gegen die Rechtsfolgen dieser Fristversäumung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO richtet sich der Antrag der Klägerin vom 3.7.2006 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO. Die Klägerin macht geltend, die unterbliebene Vorabversendung beruhe nicht auf ihrem bzw. dem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, sondern auf einem individuellen Fehler einer ansonsten zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten.
2. Der zulässige Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Denn die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten. Die Fristversäumung beruht im Wesentlichen nicht auf einem individuellen Versagen einer Mitarbeiterin, sondern auf einem Organisationsmangel bei der Überwachung der Mitarbeitern übertragenen Versendung fristwahrender Schriftsätze im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten. Dieses Versagen hat sich die Klägerin gem. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen zu lassen.
a) Der Senat hält nach nochmaliger Beratung und Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht mehr an seiner mit Verfügung vom 29.8.2006 geäußerten vorläufigen Einschätzung fest, wonach der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis nicht versagt werden könne. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung sind die Parteien mit Senatsverfügung vom 10.10.2006 vorsorglich darauf hingewiesen worden, dass der Senat im Hinblick auf die Ausführungen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 18.9.2006 erneut über die Frage beraten wird, ob an diesem Ergebnis weiterhin festzuhalten ist. In dem seitdem verstrichenen Zeitraum von ca. 4 Wochen sind keine weiteren Erklärungen der Parteien zur Akte gelangt.
b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist allerdings zulässig. Er ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO bei Gericht eingegangen. Der Wiedereinsetzung ist jedoch unbegründet. Das von der Klägerin für die Versäumung der Vorabversendung der Berufungsschrift gemachte individuelle Versagen der ansonsten zuverlässigen Kanzlei-Mitarbeiterin KE hat nicht die entscheidende Ursache für die Versäumung der Berufungsfrist gesetzt. Diese liegt vielmehr in einem Organisationsmangel im Büro der Kläger-Vertreter
aa) Die von dem Kläger-Vertreter verfügte und in das Adressfeld aufgenommene Vorabversendung der Berufungsschrift per Telefax ist von der Kanzlei-Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten der Klägerin weisungswidrig vollständig unterlassen worden. Sie ist schlicht vergessen worden. Die Mitarbeiterin hat in dem Kanzleikalender zudem die Berufungsfrist als erledigt gestrichen, ohne dass das Faxprotokoll vorgelegen hat, welches die erfolgreiche Versendung des Schriftsatzes belegte.
bb) Gegen ein derartiges - nicht fern liegendes - Fehlverhalten haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin pflichtwidrig keinerlei organisatorische Vorkehrungen getroffen, die geeignet waren, eine hierauf beruhende (drohende) Fristversäumung zu offenbaren und ...