Normenkette

BGB §§ 1666, 1779, 1887 Abs. 1, 2 S. 1; FamFG § 7 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 3, § 78 Abs. 2; RPflG § 6

 

Verfahrensgang

AG Hamburg-Altona (Entscheidung vom 05.10.2020; Aktenzeichen 351 F 127/20)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek - Familiengericht - vom 5. Oktober 2020 abgeändert:

Dem Betroffenen wird für die erste Instanz Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt v. B... bewilligt.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur begehrten Verfahrenskostenbewilligung.

Der am 8. Dezember 2005 geborene Betroffene beantragte mit Schriftsatz seines Rechtsanwalts, seiner allein sorgeberechtigten Mutter die elterliche Sorge für ihn zu entziehen, eine Vormundschaft einzurichten und zur Berufsvormünderin Frau Dipl.-Soz. Päd. S... zu berufen sowie ihm Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts zu bewilligen. Übersehen worden war, dass der Kindesmutter bereits mit Beschluss vom 20. März 2018 die Gesundheitssorge für den Betroffenen entzogen worden war und zur Ergänzungspflegerin insoweit das Jugendamt Hamburg-... bestellt worden war. Nachdem der ASD hierauf hingewiesen hatte, erklärte der Betroffene mit Schriftsatz seines Rechtsanwalts vom 31. Juli 2020, dass er mit der Zusammenarbeit mit der Ergänzungspflegerin und dem ASD unzufrieden sei und dass er an seinen Anträgen festhalte. Mit Verfügung vom 5. Oktober 2020 wies das Familiengericht darauf hin, dass es beabsichtige, ein Gutachten zur Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter einzuholen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom selben Tag hat das Familiengericht den Verfahrenskostenhilfeantrag zurückgewiesen, weil der Betroffene in dem Verfahren nach § 1666 BGB nicht verfahrensfähig sei, da er in dem Verfahren kein ihm nach bürgerlichen Recht zustehendes Recht geltend mache (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG). Es sei nicht davon auszugehen, dass der Antrag des Betroffenen darauf gerichtet sei, einen Wechsel der bestehenden Ergänzungspflegschaft nach § 1887 Abs. 2 Satz 1 BGB herbeizuführen. Ausführungen zum Bereich der Gesundheitssorge seien in der Antragsschrift nicht enthalten; darüber hinaus wäre ein solcher Antrag aufgrund der originären Rechtspfleger-Zuständigkeit in einem gesonderten Verfahren zu stellen.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Dabei kann die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich gesehene Frage, ob es in Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung gemäß § 1666 BGB um subjektive Rechte der Jugendlichen nach bürgerlichem Recht geht und Jugendliche deshalb ab einem Alter von 14 Jahren in diesen Verfahren verfahrensfähig im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind (vgl. zum Streitstand ausführlich Moelle ZKJ 2020, 7, 11f), offen bleiben. Im vorliegenden Verfahren ergibt sich die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen bereits aus seinem Antrag gemäß § 1887 Abs. 2 Satz 2 BGB. Bei einem auf Änderung der Auswahl des Vormundes gemäß § 1887 BGB gerichteten Verfahren handelt es sich um ein solches, das die Person des Minderjährigen betrifft. Dem Minderjährigen, der das 14. Lebensjahr vollendet hat, kommt gemäß § 1887 Abs. 2 Satz 2 BGB auch ein eigenes Antragsrecht zu. Damit sind die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG erfüllt (vgl. HansOLG Bremen FamRZ 2017, 1701). Die Verfahrensfähigkeit umfasst auch das Recht, sich durch einen selbst bestellten Bevollmächtigten vertreten zu lassen. Auch wenn ein minderjähriges Kind grundsätzlich weder einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit einem Anwalt schließen noch diesem Verfahrensvollmacht erteilen kann, muss aufgrund des Sinn und Zwecks des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG eine beschränkte Geschäftigkeit Minderjähriger dahingehend angenommen werden, dass das Kind in einer Angelegenheit, für die es verfahrensfähig ist, einen Rechtsanwalt wirksam mit der Wahrnehmung seiner Rechte beauftragen und in diesem Rahmen selbst für seine Verfahrensführung Verfahrenskostenhilfe beantragen kann; es ergäbe keinen Sinn, einem Minderjährigen die Verfahrensfähigkeit einzuräumen, ihm aber nicht die für das Verfahren erforderliche Unterstützung zu gewähren (vgl. MüKoFamFG/Pabst, 3. Aufl. 2018, FamFG § 9 Rn. 6a Moelle, a.a.O., S. 11).

Die Auffassung im angefochtenen Beschluss, dass der Antrag des Betroffenen nicht darauf gerichtet sei, einen Wechsel der bestehenden Ergänzungspflegschaft nach § 1887 Abs. 2 Satz 1 BGB herbeizuführen, teilt der Senat nicht. Vielmehr hat der Betroffene darauf verwiesen, dass er mit seiner Ergänzungspflegerin unzufrieden sei und dass bei der Bestellung eines Ergänzungspflegers der Einzelpfleger gegenüber dem Amtspfleger Vorrang habe. Der Umstand, dass für die Verfahren gemäß § 1887 BGB vorrangig der Rechtspfleger zuständig ist, steht der Bescheidung des Antrags im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. Gemäß § 6 RpflG soll der Richter die gesamte Angelegenheit bearbeiten, wenn ein dem Rechtspfleger übertragenes Geschäft mit einem vom Richter wahrzunehme...

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