Leitsatz (amtlich)
Ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge von Verbindung und Beiordnung bedarf es gem. § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG einer gerichtlichen Erstreckungsanordnung, um einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse für der Beiordnung vorausgehende Tätigkeiten als Wahlverteidiger in hinzuverbundenen Verfahren zu begründen.
Normenkette
RVG § 48 Abs. 6
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 29.09.2017; Aktenzeichen 630 Qs 23/17) |
AG Hamburg-Harburg (Entscheidung vom 16.08.2017; Aktenzeichen 623 Ds 339/14) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Staatskasse werden der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 30, vom 29. September 2017 (Az.: 630 Qs 23/17) und der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 16. August 2017 (Az.: 623 Ds 339/14) aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht Hamburg-Harburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Nachdem die Staatanwaltschaft mehrere zunächst getrennt geführte Ermittlungsverfahren, in denen der Antragsteller überwiegend bereits als Wahlverteidiger tätig geworden war, jeweils zum führenden Verfahren mit dem Aktenzeichen 3101 Js 278/14 verbunden und sodann beim Amtsgericht Hamburg-Harburg Anklage erhoben hatte, hat das Amtsgericht Hamburg-Harburg den Antragsteller als Pflichtverteidiger bestellt.
Nach Verfahrensabschluss hat der Antragsteller am 7. Januar 2016 die Festsetzung seiner aus der Staatskasse zu gewährenden Rechtsanwaltsvergütung beantragt. Der Festsetzungsantrag umfasst neben im führenden Verfahren entstandenen Gebühren und Auslagen auch Gebühren und Auslagen für sämtliche der Beiordnung vorausgehenden Tätigkeiten in den jeweils hinzuverbundenen Verfahren.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Hamburg-Harburg hat die Vergütung des Antragstellers zunächst antragsgemäß auf 3.480,69 € und auf die Erinnerung der Staatskasse mit der Erinnerung abhelfendem Beschluss vom 19. Februar 2017 auf 2.366,85 € festgesetzt.
Gegen den Festsetzungsbeschluss vom 19. Februar 2017 hat der Antragsteller "Beschwerde" eingelegt, die unterbliebene Festsetzung einer Vergütung für seine Tätigkeit im hinzuverbundenen Verfahren mit dem staatsanwaltlichen Ursprungsaktenzeichen 2102 Js 423/14 gerügt und zugleich seine frühere Tätigkeit auch in jenem Ermittlungsverfahren durch Vorlage entsprechender Korrespondenz belegt.
Mit Beschluss vom 16. August 2017 hat der zuständige Richter des Amtsgerichts Hamburg-Harburg unter Anwendung des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG den Festsetzungsbeschluss vom 19. Februar 2017 abgeändert und die dem Antragsteller aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung nunmehr auf 2.738,13 € festgesetzt.
Die gegen den am 4. September 2017 zugestellten Beschluss am 7. September 2017 eingelegte Beschwerde der Staatskasse hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 30, nach Übertragung des Verfahrens vom Einzelrichter auf die Kammer mit Beschluss vom 16. August 2017 verworfen und dabei die weitere Beschwerde zugelassen.
Gegen den ihr am 4. Oktober 2017 zugegangenen Verwerfungsbeschluss hat die Staatskasse eingehend beim Landgericht am 16. Oktober 2017 weitere Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass die Staatskasse eine Vergütung für der Beiordnung vorausgehende Tätigkeiten in hinzuverbundenen Verfahren nur im Falle einer Erstreckungsanordnung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG schulde. Der Antragsteller hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
1. Der Senat ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 3 RVG zur Entscheidung über die weitere Beschwerde berufen und entscheidet gemäß § 122 Abs. 1 GVG in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluss des Vorsitzenden. Eine Zuständigkeit des Einzelrichters nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG ist nicht begründet, weil diese Vorschrift für die weitere Beschwerde nicht entsprechend gilt, § 33 Abs. 6 Satz 4 RVG, und auch die angefochtene Entscheidung nicht von einem Einzelrichter erlassen wurde, § 33 Abs. 8 Satz 1, 2. HS RVG.
2. Die weitere Beschwerde der Staatskasse ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 1 statthaft; der Senat ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Abs. 4 Satz 4 1. HS RVG an die Zulassung der weiteren Beschwerde gebunden. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie von der als Antragsgegnerin beschwerdeberechtigten und durch die Festsetzung einer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung auch beschwerten Staatskasse innerhalb der gesetzlichen Frist der §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 eingelegt.
3. Die weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht, da die angefochtenen Entscheidungen auf einer Rechtsverletzung beruhen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 2 RVG, 546 ZPO) und einer abschließenden Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Anwaltsvergütung entgegensteht, dass der vorrangige Erstreckungsantrag des Antragstellers nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG noch nicht beschieden ist.
a) Die Entscheidung des Landgerichts ...