Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergabeverfahren bei Bereederung von Forschungsschiffen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sieht sich eine Vergabestelle nur durch einen rechtlichen Umstand, der sich als irrelevant erweist, gehindert, den Zuschlag zu erteilen, kann sie durch die Vergabekammer dazu verpflichtet werden, das Verfahren zum Abschluss zu bringen.

2. Da die Frage, ob mit einem Wechsel des Vertragsreeders von Forschungsschiffen eine Betriebsübernahme i.S.d. § 613a BGB verbunden ist, rechtlich noch nicht geklärt ist, handelt die Vergabestelle nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie einer vertretbaren Auslegung den Vorzug einräumt und in der Ausschreibung auf die damit verbundenen Risiken hinweist.

 

Verfahrensgang

Vergabekammer der Finanzbehörde (Beschluss vom 14.08.2003; Aktenzeichen FB 3/03)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 10.12.2003; Aktenzeichen 1 BvR 2480/03)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen vom 27.8.2003 gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Finanzbehörde vom 14.8.2003 (Az.: FB 3/03) wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschl. der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

 

Gründe

I. Gegenstand der sofortigen Beschwerde ist der Beschluss der Vergabekammer bei der Finanzbehörde H. vom 14.8.2003, mit welchem auf Antrag der Antragstellerin die Aufhebung einer Ausschreibung durch die Antragsgegnerin aufgehoben und der Antragstellerin der Zuschlag erteilt worden ist.

Bereits im Januar 2002 schrieb die Antragsgegnerin die Bereederung von vier deutschen Forschungsschiffen sowie eines neuen eisrandfähigen weiteren Forschungsschiffes europaweit im Offenen Verfahren aus. Die Ausschreibung erfolgte im Auftrag der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft „Deutsche Forschungsflotte” (BLAG), die aus den zuständigen Ministerien des Bundes sowie der Küstenländer, ferner der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Steuergruppe Mittlerer Forschungsschiffe besteht.

Die damalige Ausschreibung musste aufgehoben werden, weil zum einen eine mutmaßlich voreingenommene Person mitgewirkt hatte und zum anderen eine tariftreue Erklärung als vergabefremde Anforderung an die Bieter gestellt worden war (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 4.11.2002 – 1 Verg 3/02).

Eine zweite Ausschreibung erfolgte im Juli 2002 mit dem Ziel, die Bereederung ab 1.1.2003 für 5 Jahre mit der Option für weitere 2 Jahre an denjenigen leistungsfähigen Bieter, der das wirtschaftlichste Angebot abgibt, zu vergeben.

In dem Leitfaden zur Ausschreibung heißt es unter Ziff. 2.6 zur Anwendung von § 613a BGB, dass die Schiffe nicht Betriebsmittel des Bereeders seien und der Bereeder nicht über die Nutzung der Schiffe im eigenen wirtschaftlichen Interesse entscheiden könne. Falls der zukünftige Bereeder aber den wesentlichen Teil des Schiffspersonals und/oder die bestehende Arbeitsorganisation und/oder die Betriebsmethoden übernehme, könne § 613a BGB mit der Folge anwendbar sein, dass er das Personal zu den jetzigen Bedingungen übernehmen müsse. Ob ein Betriebsübergang vorliege, hänge also vom Verhalten des zukünftigen Erwerbers ab.

In drei im Oktober und November 2002 geführten Bietergesprächen erläuterte die Antragstellerin ihr Personalkonzept. Danach sollten die Decksmannschaft nach dem ITF-Tarif und die Offiziere nach HTV entlohnt werden. Dies sollte auch für eine Einarbeitungsphase gelten, in welcher das Personal mit dem wissenschaftlichen Forschungsbetrieb vertraut gemacht werden sollte, soweit dieser von der Schiffsbesatzung unterstützt werden sollte.

Nach dem die BLAG am 14.11.2002 der Antragstellerin die erforderliche fachliche Kompetenz abgesprochen hatte, um die Wissenschaftler in dem nötigen Umfange zu unterstützen, schloss die Antragsgegnerin am 15.11.2002 die Antragstellerin mangels Eignung aus dem Vergabeverfahren aus; die Beigeladene sollte nunmehr den Zuschlag erhalten.

Diese Entscheidung hob die Vergabekammer am 19.12.2002 im Nachprüfungsverfahren auf Antrag der Antragstellerin wieder auf, weil nicht erkennbar gewesen sei, welches Eignungskriterium nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A der Antragstellerin fehlen solle, um bereits auf der ersten Wertungsebene aus dem Wettbewerb ausgeschlossen zu werden (Aktenzeichen VgK FB 4/02).

Gegen Jahresende 2002 sah sich die Antragsgegnerin veranlasst, einen Interimsvertrag mit der Beigeladenen über die Fortführung der Bereederung der Forschungsschiffe für das Jahr 2003 zu schließen.

Die Einwendungen der BLAG – beraten durch meereskundliche Institute, welche die Forschungsschiffe nutzten – veranlassten die Antragsgegnerin, sich durch Rechtsanwalt B. sachverständig beraten zu lassen. Dieser kam in seinem schriftlichen Gutachten vom 28.2.2003 (Anlage B 7) zu dem Schluss, das keine grundsätzlichen rechtlichen Bedenken gegen das Personalkonzept der Antragstellerin bestünden; restliche Fragen seien noch mit der Antragstellerin zu klären.

Die BLAG empfahl auf ihrer 24. Sitzung vom 30.1.2003, die beteiligten wissenschaftlichen Institute sollten erneut die fachliche Einigung der Antragstellerin bewer...

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