Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelvermutung des § 1600 Abs. 3 S. 2 BGB besteht auch dann, wenn der rechtliche Vater die Vaterschaft für das Kind anerkannt hat und erst später die Mutter heiratet.
2. Bei der Anwendung der Regelvermutung des § 1600 Abs. 3 S. 2 BGB ist entgegen der herrschenden Meinung (vgl. (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2008 - XII ZR 150/06, juris Rn. 14, FamRZ 2008, 1821; Reuß in: BeckOGK, Stand 1.5.2021, § 1600 Rn. 93) nicht zwischen der Übernahme der Verantwortung und dem Tragen der Verantwortung zu unterscheiden.
Normenkette
BGB § 1600 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
AG Hamburg-Wandsbek (Beschluss vom 04.03.2021; Aktenzeichen 733 F 250/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek, Az. 733 F 250/20 vom 4. März 2021 abgeändert. Der Mutter wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin P. für das Verfahren erster Instanz bewilligt.
Gründe
I. Die Mutter verfolgt mit ihrer sofortigen Beschwerde ihren in erster Instanz erfolglos gestellten Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren weiter.
Zwischen den Beteiligten ist ein Abstammungsverfahren anhängig. Der Antragsteller möchte mit dem am 12. Oktober 2020 eingeleiteten Verfahren rechtlicher Vater des am 20. Februar 2018 geborenen Betroffenen werden. Der Antragsteller und die Mutter führten eine Beziehung aus der ein weiterer älterer gemeinsamer Sohn hervorgegangen ist. Er versichert an Eides statt mit der Mutter in der Empfängniszeit sexuell verkehrt zu haben. Der rechtliche Vater erkannte die Vaterschaft des Betroffenen am 8. Juni 2020 an. Unter dem 26. April 2021 gaben die rechtlichen Eltern eine Erklärung zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge für den Betroffenen ab. Am 27. Mai 2021 heirateten die Mutter und der rechtliche Vater einander. Sie sind unter der gleichen Anschrift gemeldet, haben seit dem 8. Juli 2021 ein weiteres gemeinsames Kind und beziehen als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II.
Die Mutter ist dem Antrag entgegengetreten. Sie trägt vor, dass sie sich im Dezember 2019 dem rechtlichen Vater zugewandt habe. Seit dieser Zeit seien sie ein Liebespaar. Sie plane mit ihm eine Zukunft. Er übernehme die Verantwortung für die Kinder. Es bestehe zwischen dem Betroffenen und dem rechtlichen Vater eine enge Bindung. Er liebe seinen Sohn, füttere, wickele, streichele, beruhige, singe ihm vor und fördere seine geistige und körperliche Entwicklung.
Das Amtsgericht hat den Antrag der Mutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit Beschluss vom 4. März 2021 zurückgewiesen. Die Voraussetzungen einer sozial-familiären Beziehung lägen nicht vor. Dagegen wendet sich die Mutter mit ihrer sofortigen Beschwerde. Das Amtsgericht verkenne, dass der Antragsteller die primäre Darlegungs- und Beweislast trage, dass zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine sozial-familiäre Beziehung bestehe.
II. Die gemäß §§ 76 Abs. 1, 2 FamFG, 567ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Mutter hat in der Sache Erfolg.
Gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Verfahrenskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Gemäß § 1600 Abs. 2 BGB setzt die Anfechtung eines Vaterschaftsprätendenten voraus, dass zwischen rechtlichem Vater und Kind keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Eine sozial-familiäre Beziehung besteht gemäß § 1600 Abs. 3 S. 1 BGB, wenn der rechtliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt. Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung liegt gemäß § 1600 Abs. 3 S. 2 BGB in der Regel vor, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.
Grundsätzlich trägt der Vaterschaftsprätendent die Feststellungslast für das Nichtbestehen der sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind. Die Mutter und den rechtlichen Vater trifft jedoch insbesondere dann eine sekundäre Darlegungslast die Voraussetzungen einer sozial-familiären Beziehung darzulegen, wenn der leibliche Vater keinen Einblick in die Beziehung hat (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2019 - 12 WF 165/18, juris Rn. 13, FamRZ 2019, 1335).
In zeitlicher Hinsicht kommt es abgesehen von dem Fall, dass der rechtliche Vater verstorben ist, für das Bestehen der sozial-familiären Beziehung auf den Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz an. Die Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater ist unbegründet, wenn zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz eine sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind besteht, auch wenn eine solche zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags noch nicht vorlag. Dies hat der Bundesgerichtshof nunmehr eindeuti...