Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelungen des für das jüdisch-religiöse Recht maßgeblichen Schulchan Aruch sind mit dem deutschen orde public Grundsatz (Art. 6 EGBGB) nicht vereinbar, soweit sie die Testierfähigkeit ausschließen und dort, wo sie sie zulassen, eine testamentarische Einsetzung der Ehefrau als Erbin ausschließen.

2. Bei den Regelungen des Schulchan Aruch zur Anwesenheit zweier koscherer Zeugen bei der Testamentserrichtung handelt es sich nicht um ein dem materiellen Recht zuzuordnendes Formerfordernis, sondern um eine verfahrensrechtliche Regelung, die der Wirksamkeit eines Testaments nicht im Wege steht.

 

Verfahrensgang

AG Hamburg-St. Georg (Aktenzeichen 970 IV 154/10)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 25.9.2019 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

 

Gründe

I. Der am 7.12.2009 in Hamburg verstorbene Erblasser ist iranischer Staatsangehöriger jüdischen Glaubens. Er war mit der Antragsgegnerin verheiratet und Mitglied der jüdischen Gemeinde Hamburg. Aus der Ehe sind insgesamt vier Kinder hervorgegangen, drei Söhne und eine Tochter. Der Antragsteller ist einer der Söhne des Erblassers.

Der Erblasser lebte zunächst im Iran, von 1965 bis 1974 sodann in Israel, anschließend wieder im Iran und seit 1980 in Deutschland. Der Erblasser verließ den Iran nicht freiwillig. Zwischen den Beteiligten sind die genauen Gründe seiner Flucht aus dem Iran allerdings streitig.

Am 4.12.2007 verfasste der Erblasser ein handschriftliches Testament in dem es lautet (Bl. 4 d.A.):

"Unter gleichzeitigem Widerruf aller vorherigen Verfügungen von Todes wegen setze ich, R...-E... R..., hiermit meine Ehefrau 'F... S... R...', zur Alleinerbin ein.

Meinem Sohn 'R... R...' entziehe ich wegen der Vielzahl der von ihm begangenen Verfehlungen selbst seinen Pflichtteil. Meine übrigen Kinder bitte ich darum, ihren Pflichtteil gegenüber ihrer Mutter, meiner Alleinerbin, nicht geltend zu machen."

Der Erblasser verfasste am 6.12.2007 ein wortgleiches Testament in maschinenschriftlicher Form, welches er unterschrieb (Bl. 6.d.A.).

Am 12.2.2010 beantragte die Antragsgegnerin beim Nachlassgericht, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie, beschränkt auf den inländischen Nachlass, unter Anwendung des iranischen Rechts als Alleinerbin ausweist. Das Nachlassgericht versuchte durch Einholung eines Sachverständigengutachtens die Erbfolge nach iranischem Recht zu klären. Die Gutachterin, Frau Priv. Doz. Dr. Y... vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg, teilte Ende 2010 mit, dass ihr der Landesrabbiner der jüdischen Gemeinde Hamburg, Herr B..., mitgeteilt habe, dass das nach dem iranischen Recht auf den Erbfall anwendbare jüdisch-religiöse Recht nur Geschenke unter Lebenden erlaube, ein Testament als Verfügung von Todes wegen aber nicht zulasse. Da ihr keine weiteren Unterlagen über das jüdische Recht zur Verfügung stünden und auch Herr B... über keine weiteren Unterlagen verfügen würde, sei der genaue Inhalt des jüdischen Rechts aus ihrer Sicht nicht ermittelbar. Anzuwenden sei daher das deutsche Recht als Ersatzrecht (Gutachterliche Stellungnahme vom 15.11.2010, Bl. 30 d.A.).

Daraufhin änderte die Antragsgegnerin ihren Erbscheinsantrag und beantragte, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie in Anwendung des deutschen Rechts nach testamentarischer Erbfolge als Alleinerbin ausweist (Bl. 44 d.A.).

Am 1.12.2010 erteilte das Nachlassgericht der Antragsgegnerin folgenden Erbschein:

"Der am 11. März 1929 in Kashan/Iran geborene, zuletzt in Hamburg wohnhaft gewesene iranische Staatsangehörige

R... E... R...

ist am 7. Dezember 2009 in Hamburg verstorben und beerbt worden nach testamentarischer Erbfolge unter Anwendung deutschen Rechts mangels ermittelbaren Heimatrecht von seiner Witwe F... S..., geboren am ... August 1939, als Alleinerbin." (Bl. 45 d.A.)

Mit Schriftsatz vom 18.12.2012 beantragte der Antragsteller, diesen Erbschein einzuziehen. Der Erbschein sei unrichtig. Beide Testamente seien nach jüdischem Recht unwirksam. Es gelte der Schulchan Aruch, nach dem der Erblasser seine Ehefrau nicht wirksam als Alleinerbin habe einsetzen können. Erben seien vielmehr der Antragsteller als erstgeborener Sohn zu 1/2 und seine beiden Brüder zu jeweils 1/4. Unabhängig hiervon sei das Testament auch formungültig, weil es nach jüdischem Recht nur in Anwesenheit zweier koscherer Zeugen habe wirksam errichtet werden können.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen getreten. Sie ist der Meinung, dass der Schulchan Aruch keine Anwendung finde. Der Schulchan Aruch gelte nicht für alle, sondern allenfalls für bestimmte Gruppen von Juden, denen der Erblasser nicht angehöre. Der Erblasser gehöre nämlich der Gruppe der sephardischen Juden an, für die hinsichtlich der Erbfolge der Wille des Erblassers entscheidend sei. Der Schulchan Aruch enthalte auch keine Regelung, die es verbiete, die Ehefrau testamentarisch als Alleinerbin ...

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