Leitsatz (amtlich)
Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ist dahin teleologisch zu reduzieren, dass die Vorschrift jedenfalls auf solche Rechtshandlungen keine Anwendung findet, die vorgenommen wurden, nachdem der Schuldner einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und der Gläubiger hiervon Kenntnis erlangt hat.
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. September 2021, Az.: 303 O 218/20, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil; eine mündliche Verhandlung ist auch sonst nicht geboten.
I. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung bieten dem Senat keinen Anlass, diese Entscheidung abzuändern. Sie geben letztlich das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. September 2021 - 336 O 33/21 - (Berufung unter 11 U 173/21 beim Senat anhängig; Parallelentscheidung zu LG Hamburg, Urteil vom 8. September 2021 - 336 O 65/21 -, juris; Berufung ebenfalls beim Senat anhängig) wieder. Der Senat folgt dieser Auffassung jedoch nicht.
Die Beklagte kann sich in Bezug auf die angefochtenen Zahlungen, die kongruente Deckungshandlungen dargestellt haben, nicht auf die Privilegierung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG berufen, auch wenn der vorliegend einschlägige Anfechtungstatbestand des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO grundsätzlich von der Vorschrift erfasst wird.
1. Die angefochtenen Zahlungen fallen nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG, da zum Zeitpunkt ihrer Vornahme nach dem 26. August 2020 das Insolvenzgericht auf den Eigenantrag der Schuldnerin hin bereits am 4. August 2020 ein Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO angeordnet hatte und die Beklagte hierüber schon am 14. August 2020 von der Schuldnerin informiert worden war.
Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ist vielmehr dahin teleologisch zu reduzieren, dass die Vorschrift jedenfalls auf solche Rechtshandlungen keine Anwendung findet, die vorgenommen wurden, nachdem der Schuldner einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und der Gläubiger hiervon Kenntnis erlangt hat.
a) § 2 Abs. 1 COVInsAG befasst sich mit den Folgen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 COVInsAG, wonach die Antragspflicht aus § 15a InsO für den vorliegend maßgeblichen Zeitraum ausgesetzt worden war. Die Geschäftsleitung der Schuldnerin war folglich trotz Insolvenzreife der Schuldnerin nicht - wie sonst - verpflichtet, einen Eigenantrag zu stellen. Indem sie es dennoch tat, hat sie auf den Schutz des COVInsAG verzichtet. Damit gibt es jedoch auch keinen Grund, die Zahlungen an die Beklagte nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG zu privilegieren und die Beklagte gegenüber anderen Gläubigern entgegen § 1 InsO zu bevorzugen. Dies entspricht der Ansicht des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 20. Oktober 2021 - 5 U 4809/21 -, Rn. 3, juris) und der nahezu einhelligen Auffassung im Schrifttum (vgl. BeckOK InsR/Raupach, 26. Ed. 15.1.2022, COVInsAG § 2 Rn. 9a; Harig, ZInsO 2021, 1010, 1012 Kruse/Hageböke, NZI 2022, 56, 59; Liepmann, ZInsO 2021, 2450; ders. ZInsO 2021, 1767, 1768; a.A. Bork, NZI 2022, 31, unter Verweis darauf, dass ein Schuldner auch für Sanierungsbemühungen im Eröffnungsverfahren auf seine Vertragspartner angewiesen sei; dagegen überzeugend Kruse/Hagenböke, a.a.O., S. 59; hierzu auch unter d]).
b) Dass sich eine solche Einschränkung nicht aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 COVInsAG ergibt, ist unerheblich. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber angesichts der Kürze des Gesetzgebungsverfahrens von elf Tagen - die Ankündigung durch das BMJV erfolgte am 16. März 2022, die Verkündung am 27. März 2022 - in der Lage war, sämtliche Konstellationen hinreichend zu bedenken. Es kann deshalb schon nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber überhaupt die Möglichkeit gesehen hat, dass ein Schuldner auf die Privilegierung des § 1 Abs. 1 Satz 1 COVInsAG verzichtet. Ebenso wenig spricht dafür, dass der Gesetzgeber sich bewusst dafür entschieden haben soll, die Privilegierungen des § 2 COVInsAG auch in diesem Fall zur Anwendung kommen zu lassen (so auch Kruse/Hageböke, a.a.O., S. 58 f., die es für "schier übermenschlich" hielten, wenn der Gesetzgeber in der Kürze der Zeit alle sich stellenden Rechtsfragen erfasst hätte). Im Übrigen ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass § 2 COVInsAG die Erreichung des durch die Aussetzung verfolgten Ziels absichern soll, "betroffenen Unternehmen unter den gegebenen Umständen die Möglichkeit zu geben, das Unternehmen fortzuführe...