Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbeinsetzung zur Vermeidung des Zugriffs durch den Sozialhilfeträger
Leitsatz (redaktionell)
Setzt der Erblasser seine spastisch gelähmte und schwer geistig behinderte Tochter, für die monatlich mehr als DM 4.000,– Sozialhilfe geleistet wird, testamentarisch zur Vorerbin und eine Behindertenorganisation als Nacherbin ein und ordnet er gleichzeitig Testamentsvollstreckung an, wobei er die Behindertenorganisation zum Testamentsvollstrecker beruft, mit der Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass der Nachlass möglichst erhalten bleibt, so folgt hieraus nicht die Sittenwidrigkeit des Testament.
Normenkette
BGB §§ 138, 1937; BSHG § 91 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 07.10.1988; Aktenzeichen 3 O 184/88) |
Tenor
1) Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 3, vom 7. Oktober 1988 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Hohe von DM 5.300,– abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
4) Das Urteil beschwert die Klägerin in Höhe von DM 30.000,–.
5) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Testament des am 6. März 1981 gestorbenen Herrn … (im folgenden: Erblasser), für dessen schwerbehinderte Tochter … die Klägerin Sozialhilfe in Höhe von zur Zeit über DM 4.000,– monatlich erbringt, gegen die guten Sitten verstößt und gemäß § 138 BGB nichtig ist.
Der Erblasser hatte seine 1943 geborene spastisch gelähmte und schwer geistig behinderte Tochter bis Anfang März 1981 in seiner Wohnung gepflegt. Als er sein Ende nahen fühlte, informierte er sich bei dem Verein zur Förderung und Betreuung spastisch gelähmter Kinder e.V., wem er das Schicksal seiner Tochter anvertrauen könnte. Sie wurde sodann Anfang März 1981 in eine Wohngruppe der … GmbH auf genommen. Hauptgesellschafter dieser GmbH wie auch der Beklagten ist der Verein zur Förderung und Betreuung spastisch gelähmter Kinder e.V.
Die … Heim GmbH ist Trägerin des Wohnheimes …. Vor allem aber betreut sie Behinderte in sogenannten Wohngruppen. Die von der … Heim GmbH betreuten Wohngruppen werden in dem Rehabilitationsbericht der Klägerin für 1986 als beispielhaft hervorgehoben (vgl. Anlage B 1).
Am 5. März 1981 errichtete der Erblasser, der in diesem Zeitpunkt im … krankenhaus … lag, das notarielle Testament gemäß Anlage K 4, in dem er seine Tochter als befreite Vorerbin und die Beklagte als Nacherbin einsetzte. Der Nacherbfall sollte mit dem Tode der Vorerbin eintreten. Er ordnete Testamentsvollstreckung an und bestimmte die Beklagte zugleich zum Testamentsvollstrecker mit der Aufgabe, sich um eine angemessene Unterbringung seiner Tochter unter Heranziehung des Sozialhilfeträgers zu kümmern. Außerdem sollte die Beklagte dafür Sorge tragen, daß der Nachlaß möglichst erhalten bleibe und seine Tochter in den Genuß der Nachlaßfrüchte komme, ohne daß ihr – z. B. öffentlichrechtliche – Zuwendungen verloren gingen. Der Erblasser schloß einen Anspruch seiner Tochter auf Auskehrung des Nachlasses, einzelner Nachlaßgegenstände und -früchte aus. Vielmehr sollte die Beklagte als Testamentsvollstrecker die Nachlaßfrüchte nach ihrem freien Ermessen für seine Tochter, aber auch zugunsten anderer Behinderter verwenden.
Nach Eröffnung des Testamentes am 31. März 1981 nahm die Beklagte den Nachlaß in Besitz und verwaltet ihn seither. Per 31. Dezember 1987 belief sich der Nachlaß auf DM 30.851,03.
Mit Anschreiben vom 29. Dezember 1981 (Anlage B 3) übersandte die Beklagte der Klägerin eine Ablichtung des notariellen Testamentes.
Auf Veranlassung der Klägerin richtete das Amtsgericht Hamburg durch Beschluß vom 10. April 1986 für Frau … eine Pflegschaft ein- und bestellte ihr einen Pfleger in Vermögensangelegenheiten.
Die Klägerin meint, das Testament sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig. Frau … sei daher nach gesetzlicher Erbfolge unbeschränkte Alleinerbin des Erblassers.
Durch Bescheid vom 10. Februar 1987 leitete die Klägerin den angeblichen Anspruch von Frau … gegen die Beklagte auf Herausgabe „des durch das Testament Erlangten” gemäß § 90 BSHG bis zur Höhe ihrer Aufwendungen auf sich über (Anlage K 5). Die bisherigen Aufwendungen der Klägerin für Frau … belaufen sich auf weit mehr als DM 100.000,–. Den Widerspruch der Beklagten wies die Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 28. September 1987 (Anlage K 6) zurück.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Sittenwidrigkeit des Testamentes folge aus der darin zum Ausdruck kommenden unredlichen Gesinnung des Erblassers. Dem Testament liege erkennbar die Absicht zugrunde, einen Dritten – den Träger der Sozialhilfe – zu schädigen. Aufgrund der Konstruktion der letztwilligen Verfügung, durch die Frau … trotz ihrer Einsetzung als Vorerbin jegliche Ansprüche auf den Nachlaß oder Nachlaßfrüchte entzogen worden seien, s...