Leitsatz (amtlich)
1. Der Umstand, dass ein Anspruchsteller, der der Bitte des abgemahnten Wettbewerbers, die Frist zur Beantwortung der Abmahnung zu verlängern, nur eingeschränkt nachkommt und eine Fristverlängerung gewährt, die an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit endet, den Verfügungsantrag nach Zurückweisung der Abmahnung erst einige Tage nach Ablauf der verlängerten Frist bei Gericht einreicht, widerlegt nicht schon die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG.
2. Die für ein in der Dauertherapie einzusetzendes Arzneimittel verwendete Werbeangabe "von Anfang an" versteht der angesprochene Fachverkehr dahin, dass das Mittel nicht nur für die Initialtherapie, sondern auch ohne zeitlich Begrenzung angewendet werden kann. In seiner Erwartung, dass die erfolgreiche Dauermedikation wissenschaftlich belegt ist, wird der Verkehr enttäuscht, wenn hinreichende Erkenntnisse insoweit nur für den Zeitraum von 48 Wochen ab Behandlungsbeginn vorliegen.
3. Auch wenn im Rahmen der Werbung für ein in der Dauermedikation einzusetzendes Arzneimittel mehrfach auf den begrenzten zeitlichen Rahmen der werblich herausgestellten Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien hingewiesen wird, geht der Fachverkehr aufgrund der in diesem Zusammenhang verwendeten Werbeaussage "von Anfang an" mangels einer hinreichenden Einschränkung davon aus, dass die in den zeitlich begrenzten Studien gewonnenen Erkenntnisse den Rückschluss erlauben, dass eine dauerhafte Behandlung mit dem beworbenen Präparat zuverlässig möglich ist.
4. Die Bewerbung eines HIV-Medikaments mit einem 2-Drug-Regime unter Verwendung der Angabe "Erfolgreiche Virussuppression" ist irreführend, wenn in der Werbung nicht zugleich darauf hingewiesen wird, dass in den referenzierten Studien der Nachweis der erfolgreichen Virussuppression im Sinne einer festgestellten nicht-unterlegenen Wirksamkeit im Vergleich zu einem herkömmlichen 3-Drug-Regime nur in Bezug auf ein eingeschränktes Patientenkollektiv aus Erwachsenen mit einer Viruslast von ≤ 500.000 Kopien/ml (ohne bestimmte Resistenzen und ohne nachgewiesene Hepatitis-B-Infektion) geführt worden ist und angesichts der Auswahlkriterien 27% der anfänglich überprüften Personen nicht an der Studie teilnehmen konnten, wobei die meisten aufgrund der nicht passenden Viruslast sowie aufgrund von Resistenzen ausgeschlossen werden mussten.
5. Besteht eine Werbeangabe aus zwei Satzteilen, die schon durch ihre sprachliche Verknüpfung (hier: "...und damit...") in untrennbarem Zusammenhang stehen, dann erfassen Anträge, mit denen die Satzteile jeweils gesondert angegriffen werden, auch dann, wenn die Anträge jeweils auf die konkrete Verletzungsform Bezug nehmen, das Charakteristische der Verletzungshandlung nicht und besteht für eine solche isolierte Verwendung der einzelnen Satzteile auch keine Begehungsgefahr.
Normenkette
HWG § 3; UWG §§ 3, 3a, 5, 8
Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 416 HKO 143/18) |
Tenor
Auf die Berufungen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin wird - bei Zurückweisung der weitergehenden Berufungen der Parteien - das Urteil des Landgerichts, Kammer 16 für Handelssachen, vom 16.01.2019 (Az. 416 HKO 143/18) teilweise abgeändert. Das Urteil wird (wobei den Anlagen I und III im Wege der Berichtigung gemäß § 319 ZPO jeweils ihre zweite Seite beigefügt wird) zu Ziff. I. und II. wie folgt neu gefasst:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Zurückweisung ihres weitergehenden Verfügungsantrages verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)
zu unterlassen,
geschäftlich handelnd, für die Kombination aus IV. und AM.(e) anzugeben
1. a) "ein 2-Drug Regimen von Anfang an", wie geschehen in der ANLAGE I und/oder der ANLAGE III;
und/oder
b) "von Anfang an", wie geschehen in der ANLAGE II;
und/oder
2. "Erfolgreiche Virussuppression", wie geschehen in der in der ANLAGE I und/oder der ANLAGE III;
und/oder
3. "Weil niemand mehr Wirkstoffe einnehmen sollte als erforderlich", wie geschehen in der ANLAGE I und/oder in der ANLAGE III.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Antragstellerin 4/11 und die Antragsgegnerin 7/11.
Das Urteil ist vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien sind Mitbewerber auf dem Markt von Präparaten für die antiretrovirale Therapie (nachfolgend auch "ART"). Hierbei handelt es sich um eine medikamentöse Behandlungsstrategie für HIV-Patienten. Die antiretrovirale Therapie kann zwar keine vollständige Heilung herbeiführen, aber die Virusvermehrung im Körper verlangsamen und den Ausbruch der Krankheit unterdrücken. Ziel der ART ist eine dauerhafte maximale Suppression der Viruslast; ein Patient mit einer Viruslast von weniger als 50 HIV-1-RNA Kopien/ml gilt als "virulogisch supprimiert". Die ART ist nur...