Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des Markenrechts an einem Arzneimittel mit dem Wirkstoffgehalt Weihrauchextrakt - Weihrauchextrakt
Leitsatz (amtlich)
1. Eine rechtserhaltende Benutzung für die Waren "Arzneimittel" setzt nicht voraus, dass das gekennzeichnete Produkt im Inland über eine Zulassung als Arzneimittel verfügt. (Rn. 70)
2. Für nicht frei handelbare Arzneimittel, die von Apotheken nach § 73 Abs. 3 AMG im Wege des Einzelbezuges auf vorliegende Bestellung einzelner Personen in geringer Menge bestellt werden müssen, sind geringere mengenmäßige Anforderungen an eine rechtserhaltende Benutzung zu stellen. (Rn. 69)
3. Es besteht eine hochgradige Warenähnlichkeit zwischen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln mit Weihrauchextrakt. (Rn. 86)
4. Der Unterlassungsanspruch eines Markeninhabers erstreckt sich auf alle markenmäßigen Handlungsmodalitäten des § 14 Abs. 3 MarkenG, wenn ein markenrechtlicher Verletzungsfall festgestellt ist, selbst wenn bisher nicht alle Handlungsmodalitäten verwirklicht worden sind. (Rn. 91)
5. § 110 ZPO ist im einstweiligen Rechtsschutz aufgrund des besonderen Eilcharakters nicht anzuwenden, und zwar unabhängig davon, ob eine Entscheidung durch Beschluss oder aufgrund mündlicher Verhandlung ergeht. Das Interesse der Antragstellerin, beschleunigt nach summarischer Prüfung einen vorläufigen Verbotstitel zu erhalten, bleibt auch im kontradiktorischen Verfahren gegenüber dem Sicherungsinteresse der Antragsgegnerin vorrangig. (Rn. 52)
Normenkette
MarkenG § 14 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 5, Abs. 3; ZPO §§ 110, 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 07.07.2022; Aktenzeichen 327 O 66/22) |
Tenor
1. Der Antrag auf Anordnung einer Prozesskostensicherheit wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 07.07.2022, Az. 327 O 66/22, wird zurückgewiesen.
3. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Beschluss
Der Streitwert wird unter Abänderung der Wertfestsetzung in erster Instanz für das Verfahren erster Instanz auf 50.000,00 EUR und für das Berufungsverfahren auf 40.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aus ihrer Wortmarke "H 15" auf Unterlassung in Anspruch.
Die Antragstellerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in Indien, das sich insbesondere mit dem Vertrieb von pflanzlichen Arzneimitteln auf der Basis von Weihrauchextrakt (boswellia serrata) befasst. Sie ist Inhaberin der deutschen Wortmarke Nr. 30 2008 026 128 "H 15" (Anlage ASt. 3, im Folgenden "Verfügungsmarke") mit Priorität vom 21.04.2008. Die Marke beansprucht Schutz für Waren in Klasse 3, nämlich "Weihrauch; kosmetische Mittel, Parfümeriewaren, Präparate für die Gesundheitspflege als Mittel zur Körper- und Schönheitspflege", sowie für Waren in Klasse 5, nämlich "Insektenabwehrmittel mit Weihrauch; Arzneimittel; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke".
Die am Rechtsstreit nicht beteiligte Schwesterfirma der Antragsgegnerin, die H. GmbH, strengte im Jahr 2014 ohne Erfolg ein Löschungsverfahren gegen die Verfügungsmarke gestützt u.a. auf das absolute Schutzhindernis der beschreibenden Angabe an (vgl. Rechtsbeschwerdeentscheidung des BGH, Beschluss vom 09.11.2017 - I ZB 17/17, Anlagenkonvolut ASt. 11).
Die Antragstellerin vertreibt sog. ayurvedische Arzneimittel mit einem Wirkstoffgehalt von 400mg getrocknetem Weihrauchextrakt pro Tablette unter der Bezeichnung "H 15 Gufic" - mit Aufmachung in englischer Sprache - wie aus der Anlage ASt. 4 ersichtlich. Ob sie das auch in der Bundesrepublik Deutschland getan hat, ist in erster Instanz zwischen den Parteien streitig gewesen (vgl. Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 05.04.2022, S. 5).
Die Antragsgegnerin unterhält in Deutschland ein Lager, in welchem Nahrungsergänzungsmittel unter der Bezeichnung "H 15" bzw. "Hecht H 15®" bzw. "H15 Weihrauch" jedenfalls für den Export ins Ausland gelagert werden - ob und inwieweit die Antragsgegnerin weitere Handlungen im Inland in Bezug auf diese Waren vorgenommen hat oder vornimmt, ist zwischen den Parteien ebenfalls streitig.
Die Antragstellerin wandte sich vorliegend dagegen, dass über verschiedene Online-Apotheken Weihrauch-Kapseln als Nahrungsergänzungsmittel unter der Bezeichnung "H 15" bzw. "Hecht H 15®" bzw. "H15 Weihrauch" in der aus dem Verfügungsantrag ersichtlichen Gestaltung angeboten worden seien. Auf den Internetseiten der Online-Apotheken war jeweils die Antragsgegnerin als "Hersteller", "Lebensmittel-Unternehmer", "Lebensmittelunternehmer" bzw. "Anbieter" angegeben (vgl. Anlagenkonvolute ASt. 8 bis 10).
Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin abmahnen und zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung unter Fristsetzung bis zum 21.03.2022 auffordern (Anlage ASt. 12). Dies wies die Antragsgegnerin durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 21.03.2022 (Anlage ASt. 13) zurück u...