Leitsatz (amtlich)
1. Leistet der Schuldner nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einer einstweiligen Verfügung, ist die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens möglich, da eine Erledigung der Hauptsache mangels Eintritts der Erfüllungswirkung gem. § 362 BGB nicht eingetreten ist. Im Berufungsverfahren über diese einstweilige Verfügung ist eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV deshalb nicht obligatorisch.
2. Für die Anwendung von Art. 6a der Verordnung (EU) 204/2011 in der Fassung der Verordnung (EU) 296/2011 (Libyen-Embargo) genügt im einstweiligen Verfügungsverfahren die Glaubhaftmachung, dass es tatsächlich auf Grund des konkreten rechtmäßigen Geschäfts nicht zu einer Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen an gelistete Unternehmen kommt.
3. Bei der Auslegung von Art. 6a der Verordnung (EU) 204/2011 ist der Zweck der Sanktionen zu berücksichtigen, die eingefrorenen Vermögenswerte so bald wie möglich dem libyschen Volk zur Verfügung zu stellen.
4. Zur Vollziehung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegner Erbringung einer nicht vertretbaren Leistung verpflichtet wird, genügt die Zustellung der einstweiligen Verfügung, wenn der Antragsgegner leistungsbereit ist; ein Antrag nach § 888 Abs. 1 ZPO ist nicht erforderlich.
5. Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EU) 204/2011 ändert nichts daran, dass auch ein Schuldner, der im Vertrauen auf die Anwendbarkeit der Embargo-Vorschriften seinen Lieferverpflichtungen nicht nachkommt, die Kosten des verlorenen Rechtsstreits tragen muss.
Normenkette
BGB § 362; ZPO § 888 Abs. 1; AEUV Art. 267
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 04.04.2011; Aktenzeichen 403 HKO 32/11) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg vom 4.4.2011 - 403 HKO 32/11, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Wegen des Sach- und Streitstandes 1. Instanz wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Ergänzend wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weiterhin noch nicht sämtliche auf den Monat März entfallenden Liefermengen an die Klägerin ausgeliefert worden waren.
Weiter wird festgestellt, dass Vertretungsberechtigte, bzw. an maßgeblicher Stelle bei der Klägerin, der O. B. V. und der auf den Antillen domizilierenden O. H. N. V. überwiegend libysche Staatsbürger tätig sind, wobei ein I. für alle drei Gesellschaften bestellt ist - wegen der Einzelheiten wird auf S. 10 und 11 des Schriftsatzes der Beklagten vom 5.5.2011 Bezug genommen.
Zur Unternehmensgruppe der Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) gehören zudem weitere antillanische Gesellschaften, für die wiederum Herr Z. an maßgeblicher Stelle tätig ist, während bei zwei dieser Gesellschaften nach Auszügen aus dem Handelsregister von Curacao vom 8.4.2011 (Anl. AG 22 und AG 23) auch M. als Statutory Director bestellt ist oder jedenfalls war, der zu den in den Embargo-Vorschriften gelisteten Personen gehört (vgl. u.a. ABl. EU L 78/17 vom 23.3.2011); wegen der Einzelheiten des Vortrags wird auf S. 9 - 12 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) vom 10.6.2011 Bezug genommen.
Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt die Beklagte ihre schon in erster Instanz vorgebrachten Rechtsansichten weiter.
Sie ist insbesondere weiterhin der Auffassung, dass eine Effektivität des durch die Verordnung (EU) Nr. 204/2011 (im Folgenden: "Verordnung") verhängten Embargos (in der Fassung der folgenden Änderungs- bzw. Durchführungsverordnungen), vor allem aber des "asset freeze" gem. Art. 5 dieser Verordnung, nur gegeben sei, wenn eine in den Anhängen zu dieser Verordnung (bzw. in den diese Listen erweiternden Verordnungen) nicht gelistete juristische Person, an der eine aufgeführte juristische Person beteiligt sei oder sogar die Mehrheit halte, sich nicht für jedes in ihrem gewöhnlichen Geschäftsgang vorkommende Handeln uneingeschränkt auf die mit der Verordnung (EU) Nr. 296/2011 eingefügten Ausnahmeregelung des Art. 6a berufen könne.
Vielmehr gebiete es der Grundsatz der effektiven Umsetzung der Embargo-Vorschriften, von dem sich auf die Ausnahmeregelung berufenden Unternehmen den vollen Beweis dafür zu fordern, dass aufgrund des fraglichen Geschäftes tatsächlich keine Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen einer gelisteten Person bereitgestellt würden.
Insoweit existiere eine allgemeine Regel des Völkerrechts - vom IGH formuliert im Barcelona Traction Case - nach der 100%ige Tochterunternehmen gelisteter Entitäten von der Anwendung des Art. 6a der Verordnung ausgenommen seien, da nur auf diesem Wege, also durch eine Gleichsetzung von Gesellschaft und Gesellschafter, die Umgehung (völker-) rechtlicher Verpflichtungen verhindert werden könne. Dies gelte insbesondere bei - hier gegebener - Anwendbarkeit des Kriegsvölkerrechts, da es ein hergebrachter Grundsatz der wirtschaftlichen Kriegführung sei, ein Unternehmen, dessen Gesellsch...