Entscheidungsstichwort (Thema)
Testamentsanfechtung durch den Nichtbedachten, jedoch nach Errichtung des Testaments Adoptierten
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein bewußter Ausschluß von der Erbfolge liegt nicht bereits dann vor, wenn der später Pflichtteilsberechtigte allein deshalb nach dem Testament leer ausgeht, weil andere darin bedacht sind. Vielmehr muß die Absicht des Erblassers irgendwie zum Ausdruck gekommen sein, dem später Pflichtteilsberechtigten nichts zuwenden zu wollen.
2. Ein solcher Ausschluß wäre anzunehmen, wenn für den Nichtbedachten sonst ein gesetzliches Erbrecht eingreifen würde oder in einem früheren Testament eine Erbeinsetzung des nunmehr Nichtbedachten erfolgt war oder der Erblasser ausdrücklich erklärt hätte, der Nichtbedachte solle nichts erhalten.
3. Ein Anfechtungsgrund des nach Testamentserrichtung Adoptierten ist ausgeschlossen, wenn der Erblasser das bereits errichtete Testament „geflissentlich” hätte bestehen lassen.
4. Für die Annahme des „geflissentlichen Bestehen-lassens” reicht die bloße Untätigkeit des Erblassers nicht aus, da diese auch auf anderen Umständen, wie z. B. dem Vergessen der letztwilligen Verfügung, einem Rechtsirrtum, der körperlichen Hinfälligkeit des Erblassers und der Kürze der ihm noch zur Verfügung stehenden Lebenszeit beruhen kann.
5. Es geht zu Lasten der Anfechtungsgegner, daß sich der hypothetische Wille des Erblassers im Sinne von § 2079 Satz 2 BGB nicht mehr mit letzter Sicherheit aufklären läßt. Die Anfechtungsgegner tragen die Beweislast für den hypothetischen Willen des Erblassers, dass der Erblasser ebenso testiert hätte, wenn er bei Testamentserrichtung von einer Adoption gewusst hätte.
Normenkette
BGB §§ 2079, 2303
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 22.12.1988; Aktenzeichen 77 O 410/88) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 27, vom 22. Dezember 1988 geändert. Es wird festgestellt, daß der Kläger Alleinerbe nach dem am 21. April 1987 gestorbenen … geworden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten je zu 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung von je DM 10.000,– abzuwenden, wenn dieser nicht vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Das Urteil beschwert die Beklagten um mehr als DM 40.000,–.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger das Testament seines am 21. April 1987 gestorbenen Adoptivvaters … (im folgenden: Erblasser) gemäß § 2079 BGB anfechten kann. In dem streitigen Testament vom 12. August 1985 hatte der Erblasser ausschließlich die Beklagten begünstigt, und zwar die Beklagten zu 1) und 2), seine Neffen, zu seinen Erben bestimmt und dem Beklagten zu 3), seinem Bruder, ein lebenslängliches Wohnrecht an dem Hausgrundstück … vermacht.
Mit Wirkung vom 31. Oktober 1986 hatte der unverheiratete und kinderlose Erblasser sodann den Kläger adoptiert (vgl. Akte des Amtsgerichts Hamburg-Blankenese 506 XVI 14/86).
Nach dem Erbfall versuchten die Parteien zunächst, eine einvernehmliche Regelung auf der Grundlage eines Pflichtteilanspruches des Klägers zu erreichen. Diese Bemühungen scheiterten jedoch.
Das Amtsgericht Hamburg-Blankenese erteilte den Beklagten zu 1) und 2) den gemeinschaftlichen Teilerbschein vom 3. Juli 1987. Mit Schriftsatz vom 30.10.1987 erklärte der Kläger die Anfechtung des Testamentes und beantragte die Einziehung des den Beklagten zu 1) und 2) erteilten Erbscheins (vgl. Akte des Amtsgerichts Hamburg-Blankenese 507 IV bis VI 333/87). Dieser Antrag wurde durch Beschluß vom 21. Juli 1988 mit der Begründung zurückgewiesen, die Anfechtung sei gemäß § 2079 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
Der Kläger hat vorgetragen, der Erblasser habe ihn in seinem Testament vom 12. August 1985 übergangen. Damals habe zwischen dem Erblasser und ihm, dem Kläger, Streit geherrscht. Bei Errichtung des Testamentes habe der Erblasser nicht damit gerechnet, daß es noch zu einer Aussöhnung mit dem Kläger, insbesondere zu der Adoption kommen werde.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß er Alleinerbe nach dem am 21. April 1987 verstorbenen … geworden ist.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die Ansicht vertreten, die Anfechtung sei gemäß § 2079 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Nach der Adoption habe es der Erblasser bewußt bei seinem Testament vom 12. August 1985 belassen. Er habe wiederholt geäußert, der Kläger werde nur die Hälfte des Nachlasses erhalten. Damit habe der Erblasser den Pflichtteilanspruchs des Klägers gemeint.
Im übrigen habe der Kläger konkludent auf sein Anfechtungsrecht verzichtet.
Der Kläger hat erwidert, der Erblasser habe offenbar die Existenz des Testamentes vom 12.8.1985 vergessen, nachdem es zur Aussöhnung mit ihm, dem Kläger, gekommen war. Denkbar sei ferner, daß der Erblasser irrigerweise angenommen habe, das Testament sei mit der Adoption hinfällig geworden. Möglicherweise habe er auch neu testieren wollen, sei aber wegen seiner schweren Krankheit (Parkinson...