Entscheidungsstichwort (Thema)

Infizierte Seniorität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verzichtet der Markeninhaber zu einem Zeitpunkt auf seine nationale Marke, zu dem ein schon anhängiges Löschungsverfahren ohne den Verzicht zur Löschung der Marke wegen Verfalls geführt hätte, kann er den für die nationale Marke eingreifenden Heilungsausschluss des § 49 Abs. 1 Satz 3 MarkenG nicht dadurch umgehen, dass er nach dem Verzicht auf seine Marke und die Inanspruchnahme deren Zeitrangs durch eine Gemeinschaftsmarke gem. Art. 34 Abs. 2 GMV (Seniorität) nunmehr die Gemeinschaftsmarke benutzt. Die durch das Löschungsverfahren ausgelöste Sperrwirkung des § 49 Abs. 1 Satz 3 MarkenG lebt auch noch in Bezug auf die gemeinschaftsmarkenrechtliche Seniorität fort.

2. Der materielle Gehalt der gelöschten nationalen Marke wird durch das Schicksal der nicht mehr abwendbaren Löschung wegen Verfalls mitbestimmt und bleibt auch nach Attachierung an die Gemeinschaftsmarke erhalten. Die gelöschte Marke ist gleichsam mit dem Keim der bevorstehenden Löschung im Löschungsverfahren infiziert, zu der es ohne den eigenen Verzicht des Markeninhabers unabwendbar gekommen wäre.

 

Normenkette

MarkenG § 21 Abs. 2-3, 1, §§ 26, 49 Abs. 1, § 51 Abs. 2 S. 1, § 125c Abs. 1, 2 S. 1 Alt. 1; GMV Art. 34 Abs. 2-3, Art. 112 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 01.12.2011; Aktenzeichen 327 O 143/10)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 08.11.2018; Aktenzeichen I ZR 126/15)

BGH (Beschluss vom 23.02.2017; Aktenzeichen I ZR 126/15)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg vom 1.12.2011, Gz. 327 O 143/10, wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.

III. Das Urteil ist ebenso wie das angegriffene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung hinsichtlich des Kostenausspruchs jeweils durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Gegen dieses Urteil wird die Revision zugelassen.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten über die nachträgliche Feststellung der Ungültigkeit zweier mittlerweile gelöschter Marken der Beklagten.

Bei den Parteien handelt es sich um zwei gleichnamige, aber rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Unternehmen der Bekleidungsbranche.

Die Klägerin ist Inhaberin zweier nationaler Wort-Bildmarken "PuC" (Registernummern 648528 bzw. 648526) mit Priorität aus dem Jahr 1953, welche jeweils u.a. für Bekleidungsstücke Schutz beanspruchen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die als Anlagen K 11 und K12 zur Akte gereichten Datenbankauszüge Bezug genommen.

Die Beklagte war Inhaberin zweier nationaler Wortmarken "PUC", welche unter den Registernummern 10227854 und 966148 Schutz beansprucht hatten für "Bekleidungsstücke (mit Ausnahme von Babybekleidungsstücken, Windeln und Kindertüchern)" bzw. "Kinder-Ober- und Unterbekleidungsstücke". Die Marken waren in den Jahren 1982 bzw. 1978 angemeldet und eingetragen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die als Anlagen K2 bzw. K3 zu den Akten gereichten Registerauszüge des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) Bezug genommen.

Mit einer der Beklagten am selben Tag per Fax zugegangenen Abmahnung vom 18.11.2004 (Anlagenkonvolut K5, dort Anlage K3) vertrat die Klägerin die Auffassung, dass die o.g. Marken wegen Verfalls löschungsreif seien und forderte die Beklagte zur freiwilligen Löschung der Marken auf. Nachdem dies nicht geschah, erhob sie Löschungsklage vor dem LG Hamburg. Die Klage, die unter dem Geschäftszeichen 327 O 206/05 geführt wurde, ging vorab per Fax am 11.2.2005 beim LG ein. Durch den am 12.4.2005 bei der Klägerin eingegangenen Schriftsatz der Beklagten vom 4.4.2005 (Anlage K7) erlangte die Klägerin erstmalig davon Kenntnis, dass die Beklagte Benutzungshandlungen bzgl. der Marken "PUC" behauptete. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung, aber noch vor Verkündung einer Entscheidung, beantragte die Beklagte jeweils mit Schreiben vom 7.7.2005 die Löschung der Marken beim DPMA. Am 31.8.2005 (Marke DE 966148) bzw. am 9.8.2005 (Marke DE 1027854) wurde die Löschung im Register des DPMA eingetragen. Die Parteien erklärten den Rechtsstreit noch im Juli 2005 übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt und die Beklagte erkannte die Kostentragungslast an.

Die Beklagte verfügt zudem über eine am 6.4.2001 eingetragene Gemeinschaftswortmarke "PUC" mit der Nr. 242446, welche u.a. für "Bekleidungsstücke" Schutz beansprucht. Diese Marke nimmt für den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland die Seniorität der o.g. gelöschten nationalen Marken in Anspruch. Wegen der Einzelheiten dieser Markenanmeldung wird auf die als Anlage K1 zur Akte gereichte Markeninformation des Amtes der Europäischen Union für die Eintragung von Marken und Geschmacksmustern (HABM) Bezug genommen.

Mit ihrer im vorliegenden Rechtsstreit am 12.3.2010 beim LG Hamburg eingegangenen K...

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