Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine namentliche oder identifizierbare Nennung eines Gutachters durch Betreiber einer Internetseite, auf der zahnmedizinische Gutachten unter Nennung der Verfassernamen veröffentlicht und kritisiert werden; bei Veröffentlichung nicht in erster Linie zur Aufklärung, sondern Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen, geht Anonymitätsschutz dem Recht auf freie Meinungsäußerung vor

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 1004; GG Art. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 05.08.2009; Aktenzeichen 325 O 9/09)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg, Geschäftsnummer 325 O 9/09, vom 5.8.2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziff. I. des Tenors des landgerichtlichen Urteils wie folgt gefasst wird:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu vollziehen am Stiftungsvorstand, zu unterlassen, auf den unter f.i. erreichbaren Internet-Seiten den Kläger namentlich und/oder identifizierbar zu nennen und/oder nennen zu lassen, wenn dies geschieht, wie dort unter der Überschrift

"Gutachten vom 19.9.2002; zu Lasten von der Patientin und zugunsten der Nachbehandler Betreffend den Autor: Dr. R. H., Berlin"

geschehen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs gegen Sicherheitsleistung von 25.000 EUR, hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

1. Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung wendet sich die Beklagte gegen ein Urteil des LG, durch das ihr verboten worden ist, den Kläger auf den unter f.i. erreichbaren Internetseiten namentlich und/oder identifizierbar zu nennen und/oder nennen zu lassen. Auf diesen Internetseiten veröffentlicht und kritisiert die Beklagte, eine Stiftung bürgerlichen Rechts, zahnmedizinische Gutachten unter Nennung der Namen der Verfasser, darunter auch ein Gutachten, welches der Kläger im Auftrag einer Patientin im Jahr 2002 erstattet hatte.

Zum Sachverhalt im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LG vom 5.8.2009 abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.

2. Die Berufung ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, hat das LG entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Unterlassung gem. §§ 823 Abs. 1, 1004 analog BGB i.V.m. Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zusteht, da die Veröffentlichung den Kläger rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist folgendes auszuführen.

Zwar betrifft die Veröffentlichung einen Vorgang aus der Sozialsphäre des Klägers, so dass dieser grundsätzlich eine sachliche kritische Auseinandersetzung hinnehmen muss. Ob dies allerdings in Form der öffentlichen Herausstellung eines von ihm vor Jahren verfassten Gutachtens hinzunehmen ist, obgleich sich der Kläger hiermit selbst nicht an die Öffentlichkeit gewandt hat, mag schon zweifelhaft sein. Doch selbst wenn man eine öffentliche Kritik im Hinblick auf die hohe Bedeutung der Arbeit eines von der Zahnärztekammer benannten Gutachters für die Allgemeinheit im Grundsatz für berechtigt hielte, überwiegt bei der hier fraglichen Veröffentlichung in der Abwägung der geschützten Interessen der Anonymitätsschutz des Klägers vor dem Recht der Beklagten auf freie Meinungsäußerung. Dies folgt nicht nur aus dem langen Zeitablauf zwischen Erstattung des Gutachtens und der fortbestehenden Veröffentlichung, sondern insbesondere auch aus dem Inhalt der Veröffentlichung selbst sowie dem ihr offensichtlich zugrunde liegenden Ziel der Verfolgung bestimmter wirtschaftlicher Interessen.

Bereits die Benennung der Internetseite "f ..." signalisiert dem Leser eine systematisch unredliche Vorgehensweise der namentlich Aufgeführten bei der Erstattung von Gutachten. Dieser Eindruck verdichtet sich, wenn unter der Überschrift "Beweggründe dieser Seite" u.a. vermittelt wird, die Betreiber wollten verdeutlichen, wie gefährlich es werde, wenn "der Sachverständige eigene Interessen am Ausgang der Begutachtung hat" und "die Interessen anderer Personen oder der Industrie in das Gutachtenergebnis einfließen". Diese Behauptung der Verfechtung eigener sachfremder Interessen findet sich weiter in der Zusammenfassung, die an das Ende der abgedruckten Analyse angefügt wurde und in welcher ein Szenarium aufgebaut wird, in dem Zahnärzte unter Ausnutzung der Ahnungslosigkeit der Patienten diese mehrfach unnötig operierten und die über die nötigen Beziehungen verfügten, um Gutachten erstellen zu...

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