Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitursächlichkeit einer fehlerhaft durchgeführten Strahlenbehandlung für den Tod des Patienten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs aus § 844 Abs. 1 BGB ist, wenn der Tod des Geschädigten feststeht, die Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen der dem Schädiger zuzurechnenden Verletzung und dem eingetretenen Tod nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu beurteilen.

2. Für die haftungsrechtliche Bedeutung eines ärztlichen Behandlungsfehlers ist es ausreichend, wenn er Mitursache neben anderen krankheitsbedingten Faktoren gewesen ist. Insofern begründet die neben ein Tumorrezidiv tretende Mitursächlichkeit einer Strahlenbehandlung die haftungsrechtliche Einstandspflicht für den Tod eines Patienten.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 27.02.2004; Aktenzeichen 303 O 95/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 3, vom 27.2.2004 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten als Alleinerbe (wegen des Todes) seiner am 6.2.1993 verstorbenen Ehefrau R., gestützt auf den Vorwurf fehlerhafter ärztlicher Behandlung, den Ersatz von Beerdigungskosten.

Bei Frau R. (im Folgenden: die Patientin) wurde im Mai 1990 im Kreiskrankenhaus P. ein operativer Eingriff wegen einer stielgedrehten Ovarialzyste durchgeführt, bei der beide Adnexe entfernt wurden. Die Histologie ergab ein Adenokarzinom im linken Ovar. Die Patientin erhielt zunächst eine chemotherapeutische Behandlung. Am 7.3.1991 erfolgte im Kreiskrankenhaus P. eine Second-look-Laparatomie, bei der sich winzige, als Infiltrate des Adenokarzinoms beschriebene Auflagerungen auf der Rektum-Vorderwand fanden.

In der Zeit vom 18.4.1991 bis 31.5.1991 unterzog sich die Patientin in der Abteilung für Gynäkologische Radiologie des Universitätskrankenhauses H., dessen Trägerin die Beklagte ist, einer Strahlenbehandlung der sog. Methode D mit einer Stahfeldbestrahlung mit Einzeldosen von 2 Gy bis zu einer nominellen Gesamtdosis von 35 Gy und einer anschließenden Rotationsbestrahlung mit Einzeldosen von 3,5 Gy im täglichen Wechsel rechts und links bis zu einer nominellen Gesamtdosis von 60 Gy. Nach einer Pause wegen bei der Bestrahlung aufgetretener Akutbeschwerden wurde dann in der Zeit vom 26.6. bis zum 2.8.1991 die Paraaortalregion mit einer nominellen Gesamtdosis von 50 Gy bestrahlt.

Die Verlaufskontrolle nach Operation und Bestrahlung eines Ovarialkarzinoms fand in der Röntgenpraxis Dr. M. statt. In dem Arztbrief vom 31.10.1991 (vgl. Anlage K 15 der beigezogenen Akte zum Parallelverfahren 303 O 58/96) heißt es auszugsweise:

"... Die übrigen dargestellten Abdominalstrukturen sind ebenfalls unauffällig, auffallend lediglich eine Wandverdickung im Bereich des Dünndarms, wohl zurückzuführen auf die Strahlentherapie. Im Bereich des Beckens insb. perirectal deutliche Flüssigkeitsansammlung. Retrospektiv muss gesagt werden, dass es sich bei der rechts perirectal gelegenen Raumforderung, die am 28.8. diagnostiziert wurde, wohl um etwas abgekapselte Ascites gehandelt hat. Bei jetzt Zunahme der Ascites ist eine tumorverdächtige Struktur im kleinen Becken nicht nachzuweisen. ..."

In einem weiteren Arztbrief der Röntgenpraxis Dr. M. vom 26.5.1992 (Anlage 14 zum Parallelverfahren 303 O 58/96) ist u.a. ausgeführt:

".... Im Bereich des Beckens unverändert zu der Voruntersuchung die deutlichen Darmwandverdickungen, wohl auf die Bestrahlung zurückzuführen. Eine weichteildichte Raumforderung, die verdächtig wäre auf ein Tumorrezidiv, kommt nicht zur Darstellung. Im Becken allenfalls noch diskrete Distanzierung der Darmschlingen durch Ascites, auch hier im Verlauf zur Voruntersuchung rückläufig. ..."

In der Zeit vom 5. bis zum 16.10.1992 befand die Patientin sich wegen Beschwerden im Darmbereich (unregelmäßiger Stuhlgang, teilweise Diarrhoen, Bauchkrämpfe) in stationärer Behandlung des AK A. Dort wurde sie am 8.10.1992 operiert. Ausweislich des Arztbriefes vom 20.10.1992 (Anlage B 4) wurden dort folgende Diagnosen gestellt:

"1. Ovarialcarzinom bei Zustand pelviskopischer Adnektomie 5/90.

2. Zustand nach Cytostase und Radiatio.

3. Sigmastenose nach Radiatio.

4. Paraaortale Lymphknotenmetastase es Ovarialtumors."

Zur "Therapie" heißt es eingangs des Arztbriefs:

"Anteriore Sigmaresektion. Lymphknotenexstirpation und Netzresektion am 8.10.1992."

Zur "Histologie" heißt es:

"Es handelt sich bei dem retro- und paraaortalen Lymphknoten um 2 Metastasen eines mittelgradig diff. Adenocarzinoms G 2. Tumorfreie PE aus dem Lig. Gastrocolicum, tumorfreies Netzresektat, tumorfreies Gewebe aus dem Pararektalraum, ein Sigmaresektat mit fokal ulceröser Colitis und transmuraler Entzündungsausbreitung ohne Hinweis für Malignität sowie mehrere zytologisch negative Flüssigkeitssedimente. Das hist. Bild der metastatischen Carzinominfiltrate der Lymphknoten spricht am ehesten für eine Metastase d...

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