Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 29.02.2008; Aktenzeichen 324 O 459/07) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg vom 29.2.2008, Az. 324 O 459/07, wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungsausspruches gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 7.500 EUR und hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des LG, durch das sie dazu verurteilt worden ist, es zu unterlassen, über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an W.S unter voller Namensnennung zu berichten.
Der Kläger ist zusammen mit seinem Bruder W.W. - dem Kläger des Parallelverfahrens 7 U 31/08 - im Jahr 1993 wegen Mordes an dem seinerzeit populären Schauspieler W.S. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Die Tat hatte erhebliches Aufsehen erregt. Im Jahr 2004 stellte der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, vor dessen Bescheidung er sich auch an die Presse wandte. Im Jahr 2005 wurde der Antrag zurückgewiesen. Im Januar 2008 wurde der Kläger auf Bewährung aus der Strafhaft entlassen.
Die Beklagte betreibt als Körperschaft des öffentlichen Rechts einen Rundfunksender und den zugehörigen Internetauftritt "www.d.de". Auf diesem befand sich bis ins Jahr 2007 die Mitschrift eines auf den 14.7.2000 datierten Beitrags mit dem Titel "Vor 10 Jahren W.S. ermordet" (Anlage K 1), in dem es u.a. heißt:
"S. Kompagnon W.W. und dessen Bruder M.L. werden 1993 nach einem sechsmonatigen Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Die beiden beteuern bis heute ihre Unschuld und scheiterten erst in diesem Jahr vor dem BVerfG mit der Forderung, den Prozess wiederaufzurollen."
Der Kläger sieht in der Verbreitung der beanstandeten Berichterstattung eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Verbreitung der beanstandeten Meldung zulässig sei.
Das LG hat die Beklagte zur Unterlassung verurteilt und zur Begründung ausgeführt, dass die Verbreitung des Namens des Klägers im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die Tat, wegen der er verurteilt worden ist, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletze. Angesichts der seit der Verurteilung vergangenen Zeitdauer überwiege das Interesse des Klägers daran, nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden, das Interesse der Öffentlichkeit daran, über seine Beteiligung an dem Tatgeschehen unter Nennung seines Namens informiert zu werden. Der Anspruch richte sich auch auf Unterlassung der Verbreitung älterer Meldungen über das Internet, die im Zeitpunkt ihrer ersten Veröffentlichung rechtmäßig gewesen sein mögen, da einer Privilegierung älterer Meldungen ("Archivprivileg") die Rechtsgrundlage fehle. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie ist der Ansicht, dass angesichts der Schwere der Tat nach wie vor ein aktuelles Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe, der Kläger durch die bloße Perpetuierung der im Zeitpunkt der Erstveröffentlichung rechtmäßigen Verbreitung des Beitrags nicht erneut in das Licht der Öffentlichkeit gestellt werde und der Beitrag deutlich als älterer, keine aktuelle Meldung enthaltender Beitrag erkennbar sei. Eine Verpflichtung, dauerhaft vorgehaltene Meldungen beständig darauf zu überprüfen, ob die Verbreitung ihrer Inhalte wegen Zeitablaufs rechtswidrig geworden sei, sei den Unternehmen, die Nachrichten über das Internet verbreiteten, nicht zumutbar. Die nachträgliche Löschung von Nachrichten würde zudem zu einer Verfälschung der historischen Wahrheit führen. Dadurch, dass der Kläger sich selbst an die Öffentlichkeit gewandt habe, habe er sich seines Anonymitätsschutzes begeben.
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des Urteils des LG Hamburg vom 29.2.2008 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht eingelegt.
Die Berufung ist aber in der Sache nicht begründet. Die Verbreitung der beanstandeten Meldung verletzt den Kläger in seinen Rechten (unten 1.), und die Beklagte ist hinsichtlich dieser Beeinträchtigung Störer i.S.v. § 1004 BGB analog (unten 2.).
1. Das LG hat zu Recht in der Verbreitung der beanstandeten Meldung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers gesehen, die einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG begründe...