Entscheidungsstichwort (Thema)

Inländische gerichtliche Zuständigkeit zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehl

 

Leitsatz (amtlich)

Aus den §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO ergibt sich eine inländische gerichtliche Befugnis und Zuständigkeit für die unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 27.05.2019 Az.: C-505/18 und C-82/19) zu treffende gerichtliche Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls.

 

Normenkette

IRG §§ 74, 77-78; StPO § 131 Abs. 1, § 457 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Entscheidung vom 22.04.2016; Aktenzeichen 9 KLs 3/15)

 

Tenor

  1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
  2. Gegen den Verurteilten wird der in der Anlage befindliche Europäische Haftbefehl ausgestellt.
  3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Verurteilten auferlegt.
 

Gründe

I.

Der Verurteilte ist durch Urteil der 9. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 22.04.2016 wegen schweren Bandendiebstahls in 13 Fällen und anderer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren 6 Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 28.04.2017.

Da der Verurteilte flüchtig ist und sich vermutlich im Ausland aufhält, hat die Staatsanwaltschaft Bochum am 21.06.2017 gegen ihn einen innerstaatlichen Vollstreckungshaftbefehl nach § 457 Abs. 2 S. 1 StPO und am 27.06.2017 einen Europäischen Haftbefehl erlassen.

Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 27.05.2019 in den verbundenen Rechtssachen C-505/18 und C-82/19 PPU hat die Staatsanwaltschaft Bochum bei dem Landgericht Bochum "die richterliche Ausfertigung des Europäischen Haftbefehls gem. § 154457 Abs. 3 S. 3 StPO" beantragt.

Die 9. große Strafkammer des Landgerichts Bochum hat mit angefochtenem Beschluss diesen Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat die Strafkammer im Wesentlichen ausgeführt, sie sei für die Ausfertigung eines Europäischen Haftbefehls nicht zuständig. Es fehle an einer gesetzlichen Zuständigkeitszuweisung. Dabei hat die Strafkammer folgende Erwägungen angestellt:

- Die Zuständigkeit der Kammer ergebe sich nicht aus § 457 Abs. 3 S. 3 StPO. Nach Absatz 2 jener Vorschrift sei die Zuständigkeit für den Erlass von Haftbefehlen nach § 457 Abs. 2 S. 2 StPO der Vollstreckungsbehörde, also der Staatsanwaltschaft, zugewiesen. Die Systematik des § 457 StPO zeige, dass in Absatz 3 weitere Befugnisse der Vollstreckungsbehörde geregelt seien, die nicht von Absatz 2 erfasst seien. Daraus folge, dass eine gerichtliche Entscheidung gem. § 457 Abs. 3 S. 3 StPO nur bei den von § 457 Abs. 3 S. 1 und 2 StPO erfassten Maßnahmen veranlasst sei, die einer richterlichen Anordnung bedürften. Der Erlass eines Haftbefehls im Vollstreckungsverfahren falle nach der gesetzlichen Wertung der StPO gerade nicht hierunter. Aus diesen Gründen sei die Norm des § 457 nicht auslegungsfähig. Wolle man unter die Norm des § 457 Abs. 3 S.3 StPO auch die gerichtliche Ausfertigung von Europäischen Haftbefehlen fassen, wäre dies eine Auslegung contra legem.

- Die Zuständigkeit der Kammer ergebe sich auch nicht aus § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 28.04.2004 i.V.m. dem gemeinsamen Runderlass des Justizministeriums, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Finanzministeriums über die Ausübung der Befugnisse im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten, Berichtspflichten und die Zusammenarbeit im Europäischen Justiziellen Netz sowie mit transnationalen Verbindungsstellen vom 16.12.2016. Erkennende Gerichte seien in jenem Runderlass nicht genannt.

- Etwas anderes folge auch nicht aus dem Anwendungserlass des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29.05.2019, dessen Adressaten allein Staatsanwaltschaften, nicht aber Gerichte seien.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hat gegen diesen Beschluss mit Verfügung vom 19.06.2019 Beschwerde eingelegt.

Mit Beschluss vom 24.06.2019 hat die 9. große Strafkammer des Landgerichts Bochum der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist der Beschwerde beigetreten und hat mit Zuschrift vom 17.07.2019 beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und einen Europäischen Haftbefehl gegen den Verurteilten auf der Grundlage des Vollstreckungshaftbefehls der Staatsanwaltschaft vom 21.06.2017 auszustellen.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum ist begründet. Die Zuständigkeit des 9. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum als Gericht des ersten Rechtszugs für die Ausstellung des beantragten Europäischen Haftbefehls ergibt sich aus §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 S. 3 StPO i.V. m. §§ 78 Abs. 1, 77 Abs. 1 IRG.

1.

Die gerichtliche Zuständigkeit der Strafkammer für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zum Zweck der Strafvollstreckung durch Unterzeichnung des entsprechend Art. 8 des Rahmenbeschlu...

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