Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrverbot. Existenzgefährdung. Kündigung. Bescheinigung des Arbeitgebers. Beweiswürdigung. Rechtsmittelbeschränkung. Subsumtionsfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Will das Amtsgericht aufgrund einer angenommen unbilligen Härte von der Verhängung des Regelfahrfahrverbots absehen, ist es gehalten, in den Urteilsgründen eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung niederzulegen, die es dem Senat ermöglicht, die Annahme einer unbilligen Härte rechtlich überprüfen zu können. Bei der Beurteilung, ob für den Betroffenen eine solche unbillige Härte aufgrund eines konkret drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes vorliegt, ist es dem Tatrichter zwar nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung des Betroffenen oder einer schriftlichen Bestätigung des Arbeitgebers, aus dem sich solche konkrete Anhaltspunkte ergeben können, zu glauben. Er hat jedoch die Angaben des Betroffenen oder des Arbeitgebers auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und im Urteil darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet.
2. Dass der Tatrichter den Betroffenen infolge eines Subsumtionsfehlers wegen einer vorsätzlichen Begehungsweise eines Geschwindigkeitsverstoßes verurteilt hat, hindert die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung nicht.
3. Ist für einen schweren Verkehrsverstoß ein mehrmonatiges Regelfahrverbot vorgesehen, so ist ggf. zu prüfen, ob zur Abwendung einer (tatsächlich feststellbaren) Existenzgefährdung die Reduzierung der Dauer des Fahrverbots ausreicht.
Normenkette
StVG § 25; BKatV § 4
Verfahrensgang
AG Essen (Aktenzeichen 40 OWi 498/21) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.
Gründe
Die zulässige - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte - Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und zur Zurückverweisung der Sache insoweit. Anlass, die Sache an eine andere Abteilung desselben Amtsgerichts zurückzuverweisen, bestand nicht (§§ 79 Abs. 3, Abs. 6, 353 StPO).
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift vom 09.02.2022 Folgendes ausgeführt:
I.
Das Amtsgericht Essen hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 560,-- Euro verurteilt und ihm gestattet, die Geldbuße in monatlichen Teilbeträgen von 100,-- Euro jeweils bis zum 5. eines Monats, beginnend mit dem 1. des Folgemonats nach Erhalt der Zahlungsaufforderung, zu zahlen (Bl. 41 ff. d.A.).
Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete (Bl. 34 ff. d.A.) und auf Anordnung der Vorsitzenden vom 10.12.2021 (Bl. 58 d.A.) dem Betroffenen am 16.12.2021 zugestellte (Bl. 62 d.A.) und auf Anordnung der Vorsitzenden vom 03.01.2022 (Bl. 63R d.A.) der Staatsanwaltschaft Essen am 05.01.2022 zugestellte (Bl. 63R d.A.) Urteil hat die Staatsanwaltschaft Essen mit auf dem Telefaxweg bei dem Amtsgericht Essen am 23.11.2021 eingegangenem Schreiben vom 22.11.2021 Rechtsbeschwerde eingelegt (Bl. 51 d.A.) und diese mit weiterem, bei dem Amtsgericht Essen am 02.12.2021 eingegangenem (Bl. 53 d.A.) Schreiben vom 26.11.2021 unter Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet (Bl. 54 ff. d.A.).
Der Betroffene hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14.01.2022 (Bl. 66 f d.A.) hierzu eine Gegenerklärung abgegeben.
II.
Der gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaften und rechtzeitig eingelegten sowie form- und fristgerecht begründeten und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen trete ich unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Essen vom 26.11.2021 bei und bemerke zur Begründung ergänzend:
1)
Der Rechtzeitigkeit der Einlegung der Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft Essen steht nicht entgegen, dass die Vorsitzende mit Verfügung vom 29.10.2021 (Bl. 39 d.A.) die Übersendung der Akten an die in der Hauptverhandlung nicht vertretene Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme des Urteilstenors übersandt hat. Denn diese Mitteilung des Urteilstenors war nicht geeignet, die aus § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m § 341 Abs. 1, Abs. 2 StPO folgenden Wochenfrist in Gang zu setzen.
a)
Zum einen ist durch die vorbezeichnete Übersendung des Urteilstenors an die Staatsanwaltschaft die für den Lauf der vorbezeichneten Frist erforderliche Zustellung nicht bewirkt worden.
aa)
Eine solche Zustellung setzt dabei einen entsprechenden Zustellungswillen des Gerichts voraus. Dieser liegt vor, wenn sich bei verständiger Würdigung aller Umstände der eindeutige Wille des Gerichts aus der Verfügung ergibt, dass hiermit die an eine förmliche Zustellung geknüpften Rechtsfolgen - hier also die In...