Leitsatz (amtlich)
Zur Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts
Verfahrensgang
LG Bochum (Entscheidung vom 11.02.2008) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 04. Dezember 2007 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen verwarnt und einen Dauerarrest von zwei Wochen verhängt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05. Dezember 2007 Berufung eingelegt. In diesem Schriftsatz hat der Angeklagte u.a. dargelegt, dass er einen Rechtsmittelverzicht nach der Verkündung des Urteils in der Hauptverhandlung vom 04. Dezember 2007 nicht abgegeben habe. Auch sein Vater habe auf Rechtsmittel nicht verzichtet. Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die Berufung des Angeklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich nunmehr die sofortige Beschwerde des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, wie folgt begründet:
"Die gem. § 322 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt, in der Sache ist ihr der Erfolg jedoch zu versagen.
Der Umstand, dass auch die Staatsanwaltschaft Bochum gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen Berufung eingelegt hat, stand der Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Beschlusswege nicht entgegen, da zwar grds. über mehrere Berufungen betreffend einer Tat desselben Angeklagten nur durch denselben Beschluss oder dasselbe Urteil entschieden werden kann, es aber zulässig ist, die eine Berufung nach § 322 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen und die andere zur Hauptverhandlung zu bringen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 322, Rdnr. 4).
Das Landgericht - Auswärtige Strafkammer Recklinghausen - Bochum hat die Berufung des Angeklagten zu Recht als unzulässig verworfen, da dieser wirksam auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hat.
Ausweislich des Wortlauts des Hauptverhandlungsprotokolls haben sowohl der Angeklagte als auch sein Vater nach Verkündung des Urteils und erfolgter Rechtsmittelbelehrung erklärt:"Wir nehmen das Urteil an." Diese Erklärung wurde laut vorgelesen und von dem Angeklagten und seinem Vater sodann genehmigt. Dieser Vermerk nimmt gem. §§ 273 Abs. 3, 274 StPO an der Beweiskraft des Protokolls teil.
Zwar ist es mit der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts unvereinbar, auf die Abgabe von Erklärungen hinzuwirken, deren Tragweite und Verbindlichkeit der Erklärende nicht überschaut, wenn also einem nicht durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten zugemutet wird, unter dem unmittelbaren Eindruck der Hauptverhandlung und Urteilsverkündung auf prozessuale Rechte zu verzichten, soweit nicht gesichert ist, dass der Angeklagte die Bedeutung seiner Erklärung in allen Konsequenzen - insbesondere hinsichtlich der Unwiderruflichkeit - erwogen hat. (zu vgl. BGH St 18, 257; 260; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 04.06.2004, - 1 Ws 50/04 - m.w.N.). Dies muss im Besonderen für Jugendliche, Heranwachsende oder der deutschen Sprache nicht mächtige Ausländer ohne anwaltlichen Beistand gelten. Es ist daher dafür Sorge zu tragen, dass eine solche Verzichtserklärung nicht unüberlegt und vorschnell abgegeben wird.
Schon der im Protokoll festgehaltene Vorgang und die gewählte Formulierung legen indes nahe, dass der Anfechtungsberechtigte zu einer gründlichen und durchdachten Prüfung des Für und Wider eines Rechtsmittels veranlasst worden ist, um ihn vor übereilten Erklärungen zu bewahren.
Dies ergibt sich insbesondere auch aus der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 28.12.2007 (Bl. 81 d.A.). Danach sind sowohl dem Angeklagten als auch - mit dessen Übersetzung - seinem gesetzlichen Vertreter die Problematik eines Verzichts auf Einlegung von Rechtsmitteln und dessen Bedeutung klar gemacht und ist inbesondere darauf hingewiesen worden, dass das Urteil damit endgültig sei.
Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten und seinem gesetzlichen Vertreter die Tragweite des Verzichts zum Zeitpunkt der Abgabe, z.B. aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten oder im Hinblick auf die geistige Entwicklung des Angeklagten, nicht bewusst gewesen wäre, dass er in seiner freien Willensbildung unzulässig beeinflusst gewesen wäre oder dass der erklärte Rechtsmittelverzicht nicht dem wirklich Gewollten entsprochen hätte, bestehen daher nicht. Letzterem steht auch der Umstand entgegen, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten in der Hauptverhandlung eingeräumt und sein Vater um ein mildes Urteil gebeten hat.
Der Rechtsmittelverzicht ist auch nicht unwirksam, weil der Angeklagte vor der Abgabe seiner Erklärung keine Gelegenheit zur Rücksprache mit einem Verteidiger hatte. Ein Fall der notwendigen Verteidigung lag nicht ...