Leitsatz (amtlich)

Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen, wenn der Tatrichter von einem Fahrverbot absehen will.

 

Verfahrensgang

AG Menden (Sauerland) (Entscheidung vom 04.04.2003)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Menden zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 32 km/h eine - erhöhte - Geldbuße in Höhe von 200,00 EUR festgesetzt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts überschritt der Betroffene am 18. Mai 2002 als Fahrer eines Motorrades die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 32 km/h.

Von der Verhängung des Regelfahrverbots hat das Amtsgericht abgesehen und statt dessen die Regelgeldbuße verdoppelt. Es hat sich dabei (allein) auf den glaubhaften Vortrag des Betroffenen gestützt, der als selbständiger Transportunternehmer in einem Ein-Mann-Betrieb im Falle der Verhängung eines Fahrverbots in existenzielle Schwierigkeiten gerate, die in keinem vernünftigen Verhältnis zu den begangenen Verkehrsverstoß stünden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der die Generalstaatsanwaltschaft ohne eigene Ausführungen beigetreten ist.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.

Die beim Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 32 km/h. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist noch hinreichend nachvollziehbar zu entnehmen, dass das Amtsgericht, das die Regelgeldbuße von 100,00 EUR, die gem. § 1 Abs. 2 BKatV für fahrlässige Begehung vorgesehen ist, grundsätzlich für angemessen erachtet hat, von Fahrlässigkeit ausgegangen ist.

Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruches lässt aber Rechtsfehler erkennen, die zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung insoweit führen.

Zwar kann von der Verhängung eines gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 n.F. BKatV indizierten Regelfahrverbots ausnahmsweise - ggf. unter Erhöhung der Regelgeldbuße - abgesehen werden, wenn erhebliche Härten oder eine Vielzahl gewöhnlicher Umstände vorliegen, die es unangemessen erscheinen lassen, dem Betroffenen trotz des großen bzw. beharrlichen Pflichtverstoßes mit einem Verbot zu belegen (vgl. BGHSt 38, 125, 134; ständige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 04. März 2003 - 4 Ss OWi 164/03 -; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 25 StVG, Rdnr. 24 m. w. N.). Der Tatrichter muss für diese seine Überzeugung vom Vorliegen eines Ausnahmefalles jedoch eine auf Tatsachen gestützte Begründung geben (vgl. BGHSt 38, 231, 237), die sich nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen darf (vgl. OLG Hamm, VRS 95, 138, 140; OLG Rostock NZV 2002, 137; OLG Düsseldorf NZV 1999, 477; Hentschel a.a.O. Rdnr. 26 m. w. N.). Zwar ist es dem Tatrichter nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung zu glauben. Entlastende Angaben des Betroffenen, der sich auf das Vorliegen einer persönlichen Ausnahmesituation beruft und regelmäßig ein großes Interesse daran haben wird, der Verhängung eines Fahrverbotes zu entgehen, dürfen jedoch nicht ohne weitere Prüfung hingenommen werden. Ggf. muss darüber Beweis erhoben werden.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

Es lässt hinreichend konkrete und für das Rechtsbeschwerdegericht überprüfbare Feststellungen zu den von dem Betroffenen behaupteten existenziellen Schwierigkeiten, die, wenn überhaupt, ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots rechtfertigen könnten, vermissen und beschränkt sich auf die Wiedergabe der unkritisch hingenommenen Einlassung des Betroffenen dazu. Der Senat weist in diesem Zusammenhang vorsorglich darauf hin, dass bloße berufliche bzw. wirtschaftliche Nachteile, die zwar spürbar sein mögen, eine Existenzvernichtung jedoch nicht nach sich ziehen, grundsätzlich nicht geeignet sind, ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots zu rechtfertigen (vgl. Beschluss des Senats vom 04. März 2003). Im Übrigen hat das Amtsgericht die Möglichkeiten, die nachteiligen Folgen eines Fahrverbots durch die Regelung des § 25 Abs. 2 a StVG bzw. die Beschränkung des Fahrverbots auf bestimmte Fahrzeugarten (hier insbesondere Krad und Pkw) abzumildern (vgl. Hentschel a.a.O. Rdnr. 11 m. w. N.), so dass der Betroffene in der Lage wäre, seine beruflich bedingten Transportfahrten durchzuführen, unerörtert gelassen.

Wegen der aufgezeigten Begründungsmängel unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung im tenorierten Umfang.

Dies Sache war daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Menden zurück...

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