Leitsatz (amtlich)
Zum verneinten Absehen vom Fahrverbot bei einer Ärztin, die ihre demenzkranke Mutter versorgen muss.
Verfahrensgang
AG Arnsberg (Entscheidung vom 27.04.2004) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Arnsberg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 41 Abs.2 StVO, 24 StVG eine Geldbuße von 200,- Euro festgesetzt, von der Verhängung eines Fahrverbotes jedoch abgesehen.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
"Die Betroffene befuhr am 16.11.2003 um 10.05 Uhr die Bundesautobahn 46 in Fahrtrichtung Hamm mit dem PKW HSK-XXXXX. Die Geschwindigkeit auf diesem Autobahnabschnitt ist auf 120 km/h durch Verkehrszeichen begrenzt. Die Betroffene wurde mit dem Video-Beweisgerät ProViDa/PPS, Band Nr. 10/2003 des Zivilfunkstreifenwagens HSK-7120 gemessen. Die Geschwindigkeitsmessung betrug 178,58 km/h. Nach Abzug der Toleranz von 5% verbleibt eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 49 km/h."
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat die Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht bestritten, jedoch an die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht gedacht, da ihre im Auto anwesende demenzkranke Mutter dringend zur Toilette gemusst habe.
Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
"Die Betroffene bittet darum, von einem Fahrverbot abzusehen. Sie ist Ärztin für Allgemeinmedizin. Sie hat eine Einzelpraxis. Für Bereitschaftsdienste, Hausbesuche, die auch schnell zwischendurch erledigt werden müssen und Nachteinsätze, die besonders nötig werden, weil sie auch Alteneinrichtungen betreut, sei sie dringend auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen. Mit einer Taxe seien diese Fahrten nicht zu bewältigen, da es oft schnell gehen müsse und sie nicht auf ein Taxi warten könne.
Darüberhinaus betreue sie ihre 80-jährige demenzkranke Mutter jeweils an den Wochenenden und hole sie dann von ihrer Schwester in Arnsberg ab. Die Mutter hat Pflegestufe 2 und es ist schwierig, sie zu transportieren und sie aus dem gewöhnten Rhythmus zu bringen.
Ebenso betreut sie ihren krebskranken Vater, der in Arnsberg auf der Jägerstraße wohnt. Der Vater ist im Endstadium eines Leberkrebses und weigert sich, noch einmal in ein Krankenhaus zu gehen. Die Betroffene versorgt ihn deshalb jeweils morgens und abends medizinisch. Die Dauer dieser zusätzlichen Belastung ist nicht vorhersehbar.
Die Betroffene ist zu schnell gefahren und muss deshalb mit einem Bußgeld belegt werden.
Von einer Verhängung eines Fahrverbotes ist jedoch abgesehen worden. Die Betroffene hat in einem Augenblicksversagen aufgrund der persönlichen Situation ihrer Mutter nicht wahrgenommen, dass sie sich in einer Zone befand, in der die Geschwindigkeit reduziert war. Als Ärztin für Allgemeinmedizin ist sie darauf angewiesen, ihre Fahrerlaubnis zu haben für die Bereitschaftsdienste, Hausbesuche und Alteneinrichtungen. Die Betroffene kümmert sich sowohl um ihre kranke Mutter als auch um den sehr schwer kranken Vater und versorgt ihn ärztlich. Dies alles kann sie nur schaffen, wenn sie ihre Fahrerlaubnis behält.
Aus diesem Grund wurde von einem Fahrverbot abgesehen und die Geldbuße verdoppelt."
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg, mit der sie eine Verletzung materiellen Rechts rügt und sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes wendet. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde beigetreten.
II.
Die zulässige und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde führt zu einer Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch.
Die Entscheidung des Amtsgerichts über das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegen eines Regelfalles der konkrete Fall Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, zwar in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Diesem ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Zumessungskriterien eingeengt. Er unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Ausnahmefalles, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des A...