Leitsatz (amtlich)

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Verfahren nach § 57 StGB kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil noch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr offen steht.

 

Verfahrensgang

LG Bochum

 

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten verworfen.

 

Gründe

I.

Der Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 25. Februar 2000 wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Diese Strafe verbüßt der Verurteilte zur Zeit. 1/2 der Strafe waren am 22. November 2001 verbüßt, 2/3 werden am 8. August 2002 verbüßt sein, das Ende der Strafzeit ist auf den 8. Januar 2004 notiert. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 6. November 2001 hat der Verurteilte beantragt, die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bochum gem. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen. Gleichzeitig hat der Verurteilte den Antrag gestellt, ihm Rechtsanwalt Deppe als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat nach Anhörung der Staatsanwaltschaft den Beiordnungsantrag durch den angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat sie sich auf den Gesetzeswortlaut des § 140 StPO bezogen. Hiergegen wendet sich nunmehr der Verurteilte mit seiner Beschwerde, der die Strafvollstreckungskammer nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat vorliegend zu Recht den Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Verteidigers im Strafvollstreckungsverfahren als unbegründet abgelehnt.

Zwar ist in Rechtsprechung und Schrifttum inzwischen allgemein anerkannt, dass die Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO, der die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Erkenntnisverfahren regelt, auch im Strafvollstreckungsverfahren entsprechende Anwendung findet; dies entspricht auch der - soweit ersichtlich - übereinstimmenden Auffassung der Strafsenate des OLG Hamm (vgl. u. a. schon OLG Hamm NStZ 1983, 189 sowie OLG Hamm NStZ-RR 1999, 319; NStZ-RR 2000, 113 = StV 2000, 92; StraFo2000, 32 sowie u. a. auch noch die Beschlüsse in 2 Ws 71/01, 2 Ws 77/01, 2 Ws 85/01, 1 Ws 183/99 und 1 Ws 313 u. 314/00; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , 2001, § 140 Rdnr. 33, 33 a m. w. N. ). Eine solche wertorientierte Auslegung des § 140 Abs. 2 StPO ist verfassungsrechtlich geboten. Danach muss im Vollstreckungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger bestellt werden, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebietet.

Allerdings hat der Senat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO im Licht der Besonderheiten des Vollstreckungsverfahrens gesehen werden müssen (vgl. die Beschlüsse in 2 Ws 71/01 und vor allem 2 Ws 85/01). Das gilt vor allem deshalb, weil die an sich für das Erkenntnisverfahren vorgesehene Vorschrift des § 140 StPO im Vollstreckungsverfahren nur entsprechend angewendet werden kann. Diese nur entsprechende, über den eigentlichen Anwendungsbereich hinaus gehende Anwendung macht eine besonders sorgfältige Prüfung der Umstände des Einzelfalls unter besonderer Besonderheiten des Vollstreckungsverfahren erforderlich. Anderenfalls wird der Anwendungsbereich der Vorschrift zu weit ausgedehnt.

Auf der Grundlage dieser Ausführungen sind vorliegend die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht gegeben.

Die Entscheidung der Frage, ob die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht so schwierig, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten wäre. Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht die Tatsache, dass der Verurteilte rechtliche Laie und mit dem Besonderheiten des Vollstreckungsverfahrens nicht vertraut ist. Das trifft für jeden Nicht-Juristen zutrifft. Weitere Gesichtspunkte, die eine Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage begründen könnten, sind auch vom Verteidiger - weder in der Begründung des Halbstrafenantrags noch in der Beschwerdebegründung - nicht vorgetragen worden. Es handelt sich um einen "normalen" Halbstrafenantrag. Auch hinsichtlich der im Rahmen des § 57 Abs. 2 StGB zu stellenden Prognose sind keine Besonderheiten zu erkennen, die ggf. die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfordern würden (vgl. dazu Rotthaus NStZ 2000, 350).

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Umstand, dass der Verurteilte bei einer negativen Entscheidung noch eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu verbüßen hat. Zwar wird von Lüderssen in Löwe-Rosenberg (StPO, 24. Aufl. , § 140 Rdnr. 94 - 99) und dem Oberlandesgericht Schleswig (SchlHA 1997, 153) die Auffassung vertreten, dass im Falle des § 57 StGB eine Beiordnung gemäß § 140 StPO regelmäßig in Betracht komme, wenn - ähnlich wie im Strafverfahren hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe...

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