Verfahrensgang

AG Herford (Aktenzeichen 11 OWi 201/11)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die

Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Herford verurteilte den Betroffenen am 5. August 2011 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 56 km/h auf einer Autobahn zu einer Geldbuße von 960 €. An der Hauptverhandlung hatten der Betroffene und sein Verteidiger, nicht hingegen die Staatsanwaltschaft teilgenommen.

Mit ihrer formell wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Die Akten liegen dem Senat seit dem 22. Mai 2012 vor.

II.

Das Rechtsmittel führt zur vollumfänglichen Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist

materiell unwirksam. Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen zur Tat eine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. [2011], § 318 Rdnr. 16 m. zahlr. w. Nachw.). Daraus folgt, dass die Rechtsmittelbeschränkung unwirksam ist, wenn die angefochtene Entscheidung überhaupt keine für das Rechtsmittelgericht beachtlichen Gründe und damit auch keine für das Rechtsmittelgericht beachtlichen Feststellungen enthält (vgl. BGH, NJW 1997, 1862; Meyer-Goßner, a.a.O.). So liegt der Fall hier.

Das Urteil enthält entgegen §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 267 StPO keine Gründe. Die nachträglich - aus für den Senat nicht nachvollziehbaren Gründen erst am 13. Januar 2012 - zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe sind schon

allein deshalb unbeachtlich, weil zu diesem Zeitpunkt bereits eine nicht mehr abänderbare Urteilsfassung ohne Gründe vorlag. Dies ergibt sich aus folgendem Verfahrensablauf:

Der zuständige Abteilungsrichter hat noch am Tage der Urteilsverkündung, dem 5. August 2011, auf der letzten Seite des Hauptverhandlungsprotokolls "gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 41 StPO" die Zustellung eines - nicht mit Gründen versehenen - Urteils in der Fassung des Protokolls an die Staatsanwaltschaft verfügt (Bl. 58 d.A.). Das Protokoll enthält die für das Urteilsrubrum erforderlichen Angaben sowie die

Urteilsformel und damit sämtliche erforderlichen Bestandteile eines abgekürzten

Urteils in Bußgeldsachen. Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft ist ausweislich des auf der letzten Seite des Hauptverhandlungsprotokolls (Bl. 58 d.A.) angebrachten Eingangsstempels am 11. August 2011 erfolgt.

Sobald ein alle erforderlichen Bestandteile - mit Ausnahme der Gründe - enthaltendes Urteil in einer Bußgeldsache im Wege der Zustellung aus dem inneren Dienstbereich des Gerichtes herausgegeben worden ist, darf es - auch innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist - nicht mehr verändert und damit auch nicht mehr um Urteilsgründe ergänzt werden, es sei denn, die nachträgliche Urteilsbegründung ist gemäß § 77b Abs. 2 OWiG zulässig (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Februar 2010

- IV-1 RBs 188/09 -, BeckRS 2010, 21267 m.w.N.; OLG Bamberg, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 3 Ss OWi 1060/08 - ≪[...]≫m.w.N.). Die Voraussetzungen der letztgenannten Vorschrift lagen hier indes nicht vor, weil die Zustellung der ersten

- unbegründeten - Urteilsfassung nicht von der Regelung des § 77b Abs. 1 OWiG gedeckt war. Weder war für den Betroffenen die Frist zur Einlegung einer Rechtsbeschwerde bereits abgelaufen, als die Zustellung des unbegründeten Urteils an die Staatsanwaltschaft verfügt und bewirkt wurde, noch hatte der Betroffene auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet. In dem auf einem Vordruck erstellten

Sitzungsprotokoll war das Textfeld mit der Rechtsmittelverzichtserklärung des Betroffenen und seines Verteidigers zwar zunächst durch Ankreuzen markiert worden, das Kreuz ist jedoch anschließend wieder durch mehrere senkrechte Striche "durchgestrichen" worden. Der Senat geht angesichts dieser Kennzeichnungen in der Protokollurkunde davon aus, dass tatsächlich keine Rechtsmittelverzichtserklärung abgegeben wurde und das später wieder "durchgestrichene" Kreuz lediglich versehentlich gesetzt worden war.

2. Aus den vorgenannten Gründen ist das Urteil auch auf die Sachrüge hin aufzuheben. Ob das Urteil beachtliche Gründe enthält, ist im Rechtsbeschwerdeverfahren aufgrund der Sachrüge - einer Verfahrensrüge bedarf es insoweit nicht - zu prüfen, weil von der Klärung dieser Frage abhängt, welcher Urteilstext vom Rechtsbeschwerdegericht auf materiell-rechtliche Fehler überprüft werden soll (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.). Enthält das Urteil - wie im vorliegenden Falle - keine für das Rechtsbeschwerdegericht beachtlichen Gründe, ist die Rechtsbeschwerde bereits deshalb mit der Sachrüge begründet, weil das Rec...

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