Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafvollzug. Anforderungen an die Begründung von Fluchtgefahr und Missbrauchsgefahr. Verlegung in den offenen Vollzug. gesetzlicher Parteiwechsel bei zwischenzeitlicher Verlegung
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Annahme einer Missbrauchs- oder Fluchtgefahr i.S.d. § 12 Abs. 1 StVollzG NRW bedarf es nach ständiger Rechtsprechung des Senats deren positiver Feststellung. Bei der Gesamtabwägung aller prognostisch relevanten Umstände sind hierbei vor allem die Persönlichkeit des Betroffenen, sein Vorleben, frühere Straftaten, die Umstände und das Gewicht der Tat, die Tatmotivation sowie sein Verhalten und seine Persönlichkeitsentwicklung im Vollzug zu berücksichtigen.
2. Die vollständige Darlegung des maßgeblichen Sachverhalts durch die Vollzugsanstalt (und nachfolgend die Strafvollstreckungskammer) ist nicht allein deshalb entbehrlich, weil dem Senat die näheren Umstände aus anderen Verfahren bekannt sind.
3. Wird der eine Verlegung in den offenen Vollzug ablehnende Bescheid einer JVA mit der Anweisung aufgehoben, den diesbezüglichen Antrag neu zu bescheiden, kommt es zu einem gesetzlichen Wechsel des Antragsgegners, wenn der Betroffene zwischenzeitlich in eine andere Einrichtung des geschlossenen Vollzugs verlegt worden war. Dies gilt auch dann, wenn die Verlegung erst nach Einlegung der Rechtsbeschwerde erfolgte.
Normenkette
StVollzG § 110; StVollzG NRW § 12 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hagen (Aktenzeichen 62 StVK 19/18) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.
Der Bescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt T vom 06. März 2018 betreffend die Ablehnung der Verlegung in eine Einrichtung des offenen Vollzuges wird aufgehoben.
Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt S wird angewiesen, den Betroffenen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats (neu) zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Landeskasse zu tragen.
Gründe
I.
Mit seinem am 12. März 2018 beim Landgericht Hagen eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 09. März 2018 wandte sich der Betroffene, der zum Zeitpunkt der Antragstellung Strafhaft wegen Nachstellung und Bedrohung in der Justizvollzugsanstalt T verbüßte (Strafende: 21. Juli 2019), gegen den Bescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt T (im Weiteren: frühere Antragsgegnerin) vom 06. März 2018, ihm zugegangen am 07. März 2018, durch den sein Antrag auf Verlegung in eine Einrichtung des offenen Vollzuges abgelehnt worden war.
Er begehrte, den Bescheid aufzuheben und die frühere Antragsgegnerin zur ermessensfehlerfreien Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, hilfsweise die Anordnung seiner Verlegung in eine Einrichtung des offenen Vollzuges. Zur Begründung führte er aus, die Entscheidung sei unter mehreren Gesichtspunkten ermessensfehlerhaft ergangen, insbesondere habe die frühere Antragsgegnerin eine Flucht- und Missbrauchsgefahr nicht positiv festgestellt.
Dem ist die Justizvollzugsanstalt T mit der Begründung entgegengetreten, der Betroffene erfülle die besonderen Voraussetzungen für eine Verlegung in den offenen Vollzug gemäß § 12 StVollzG NRW nicht und eine Flucht- sowie eine Missbrauchsgefahr seien "nicht hinreichend ausschließbar" bzw. "nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen". Zusätzlich zu der der derzeitigen Strafverbüßung zugrundeliegenden Verurteilung sei "ein Bewährungswiderruf von 7 Monaten" zu berücksichtigen. Der Betroffene bestreite die abgeurteilten Straftaten; Gesprächs- und Veränderungsbereitschaft sowie Verantwortungsübernahme lägen bei ihm nicht vor; er sei mehrfach einschlägig verurteilt worden, Bewährungsversager und bereits sechs Wochen nach der letzten Haftentlassung erneut straffällig geworden; die Beeinträchtigungen der Opfer seien erheblich gewesen; eine Rückfallprophylaxe habe nicht erarbeitet werden können.
Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Der Antrag sei unbegründet; die frühere Antragsgegnerin habe die Verlegung des Betroffenen in eine Einrichtung des offenen Vollzuges ermessensfehlerfrei abgelehnt.
Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 07. Juni 2018 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit am selben Tage beim Landgericht eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz vom 06. Juli 2018 Rechtbeschwerde eingelegt, mit der er sich im Wesentlichen gegen die Annahme einer Flucht- und Missbrauchsgefahr wendet und seine Anträge weiterverfolgt.
Am 29. Juli 2018 wurde der Betroffene in den geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt S verlegt.
Das Ministerium der Justiz Nordrhein-Westfalen hat unter dem 27. Juli 2018 beantragt, die Rechtsbeschwerde mangels Vorliegens eines Zulassungsgrundes als unzulässig zu verwerfen.
Dazu hat sich der Betroffene mit privat...