Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung der Fahrerlaubnis. bedeutender Schaden. Darlegungserfordernisse. Kostenvoranschlag. Wertgrenze
Leitsatz (amtlich)
1. Die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt jedenfalls nicht unter 1.500 Euro.
2. Jedenfalls in Fällen, in denen der auf der Basis eines Kostenvoranschlags festgestellte Schaden nicht sehr über der Wertgrenze eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt, ist der Inhalt des Kostenvoranschlags in den urteilsgründen näher darzulegen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob dieser tatsächlich ausschließlich Positionen enthält, die bei der Bewertung eines bedeutenden Schadens berücksichtigungsfähig sind (also etwa nicht: Mietwagenkosten).
Normenkette
StGB § 69 Abs. 1, 2 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Essen (Entscheidung vom 23.11.2021; Aktenzeichen 67 Ns 85/21) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird
- im Schuldspruch dahingehend berichtigt, dass der Angeklagte des unerlaubten Entfernens vom Unfallort und des fahrlässigen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO schuldig ist,
- betreffend des unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat den Angeklagten am 18.05.2021 wegen "Verkehrsunfallflucht" zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 100 € verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und zugleich eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten angeordnet. Ferner hat es "wegen Außer-Acht-Lassens der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt mit Schädigung anderer" eine Geldbuße von 35 € verhängt.
Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen mit Urteil vom 23.11.2021 als unbegründet verworfen. Hinsichtlich des Entzugs der Fahrerlaubnis ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB erfüllt sei, da an dem geschädigten Fahrzeug ein Schaden von bedeutendem Wert entstanden sei. Diesbezüglich hat das Landgericht festgestellt, dass sich der vordere Stoßfänger des Fahrzeugs des Angeklagten und das Heck des Geschädigtenfahrzeugs beim Ausrangieren aus einer Parklücke ineinander verhakten und sich der Sachschaden an dem zuvor unbeschädigten Fahrzeug des Zeugen A auf 1.768,86 € belaufe. Die diesbezügliche Überzeugungsbildung hat das Landgericht auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Kostenvoranschlag gestützt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit welcher er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Revision des Angeklagten führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Berichtigung des Schuldspruchs sowie in Bezug auf das unerlaubte Entfernen vom Unfallort zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen (§ 349 Abs. 4 StPO) und zur Zurückverweisung der Sache (§ 354 Abs. 2 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
1)
Der Schuldspruch war zum einen in Bezug auf die tenorierte "Verkehrsunfallflucht" dahingehen zu berichtigen, dass der Angeklagte des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig ist, da zur rechtlichen Bezeichnung der Tat die gesetzliche Überschrift des Straftatbestandes zu verwenden ist (§ 260 Abs. 4 S. 2 StPO). Zum anderen war hinsichtlich der Verkehrsordnungswidrigkeit die fahrlässige Begehungsweise zu tenorieren. Zur Kennzeichnung der Tat ist die Hinzufügung der Schuldform erforderlich, soweit die Tat - wie vorliegend - sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann (Ott, in: Karlsruher Kommentar, 8. Aufl. 2019, § 260 StPO Rn. 30).
2)
Der Rechtsfolgenausspruch kann bezüglich des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hingegen insgesamt keinen Bestand haben, da die Urteilsfeststellungen zur Schadenshöhe an einem Darlegungsmangel leiden.
Gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung wegen charakterlicher Ungeeignetheit vor, wenn der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Sinne von § 142 StGB weiß oder wissen kann, dass durch den Unfall an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.
a)
Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (KG Berlin, Beschluss vom 03.08.2021 - (3) 121 Ss 60/21 (32/21) -, Rn. 22 - 24, juris m.w.N.). Da bei der Bemessung dieser Schadensgrenze nur diejenigen Schadenspositionen berücksichtigungsfähig sind, die zivilrechtlich erstattungsfäh...