Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss der freien Willensbestimmung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung ist ausgeschlossen, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einzuschätzen.
2. Leidet der Betroffene an einer psychischen Erkrankung, in deren Folge er seine Steuerungsfähigkeit in einzelnen Lebensbereichen (hier: Wohnungs- und Grundstücksangelegenheiten bei nicht mehr zu beherrschender Sammelleidenschaft) verloren hat, ist er auch bei erhaltener intellektueller Einsichtsfähigkeit in die Funktion einer rechtlichen Betreuung insoweit zu einer freien Willensbestimmung nicht mehr in der Lage.
Normenkette
BGB § 1896 Abs. 1a
Verfahrensgang
LG Detmold (Beschluss vom 06.03.2008; Aktenzeichen 3 T 345/07) |
AG Lemgo (Aktenzeichen 8 XVII B 4395) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe
I. Mit Beschluss vom 22.11.2007 hat das AG nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Leitz für den Betroffenen eine Betreuung angeordnet. Für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Versicherungen, Postangelegenheiten und Organisation sozialpflegerischer Dienste hat es den Beteiligten zu 2) zum Betreuer, für den Bereich der Vermögensangelegenheiten den Beteiligten zu 3) zum Zusatzbetreuer bestellt.
Anlass für die Einleitung des Betreuungsverfahrens war ein ordnungsbehördliches Einschreiten gegen den Betroffenen. Dieser sammelt auf dem von ihm bewohnten Hausgrundstück verschiedene Sachen in einem Umfang, der zu einer erheblichen Vermüllung des Grundstücks und des Hauses sowie einem damit einhergehenden massiven Ungezieferbefall (Ratten) geführt hatte.
Gegen die Anordnung der Betreuung hat der Betroffene Beschwerde erhoben. Das LG hat die Beteiligten zu 1) bis 3) mündlich angehört und ein mündliches Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Zimmer eingeholt. Diesem ist der Betroffene zwar aufgrund von Kontakten aus den 90er Jahren bekannt, eine psychiatrische Untersuchung des Betroffenen im Vorfeld des landgerichtlichen Termins war dem Sachverständigen jedoch nicht möglich. Mit Beschluss vom 6.3.2008 hat das LG die Betreuung aufgehoben. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 4) mit der weiteren Beschwerde.
II. Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29, 69g FGG statthaft sowie formgerecht eingelegt.
Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 4) ergibt sich unmittelbar aus § 69g Abs. 1 S. 1 FGG.
In der Sache ist die sofortige weitere Beschwerde begründet, da die Entscheidung des LG auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 FGG. Dies führt zur Aufhebung der Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das LG.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das LG zutreffend von einer zulässigen Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1) ausgegangen.
In der Sache hält die landgerichtliche Entscheidung der rechtlichen Prüfung hingegen nicht stand. Das LG ist davon ausgegangen, dass § 1896 Abs. 1a BGB der Anordnung einer Betreuung entgegensteht, weil der Betroffene in der Lage sei, seinen Willen frei zu bestimmen. Diese Einschätzung ist von Rechtsfehlern beeinflusst. Die Kammer hat die Voraussetzungen der Fähigkeit zur freien Willensbildung zwar in Anlehnung an den Beschluss des OLG Köln vom 25.1.2006 (FGPrax 2006, 117 f.) zutreffend umschrieben. Bei der Subsumtion des vorliegenden Falles unter diese rechtlichen Grundsätze hat sie jedoch den Wertungsrahmen, der sich aus ihnen ergibt, einseitig in Richtung der intellektuellen Einsichtfähigkeit in das Wesen einer rechtlichen Betreuung verschoben.
Entscheidend ist demgegenüber aber, wie das LG eingangs der Gründe auch zutreffend referiert hat, ob der Betroffene die Einsicht in den Grund, die Bedeutung und Tragweite einer Betreuung entwickeln (BT-Drucks. 15/2494, 28) und im Weiteren auch entsprechend dieser Einsicht handeln kann (Staudinger/Bienwald, BGB, Bearb. 2006, § 1896 Rz. 73). Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Die Auffassung des LG, der Betroffene sei zu einer solchen Abwägung noch fähig, wird danach von seinen eigenen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen. Denn die Kammer hat, insoweit in Übereinstimmung mit beiden Sachverständigen, festgestellt, dass der Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung, die jedenfalls die Voraussetzungen einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung erfüllt, nicht mehr in der Lage ist, seine Sammelleidenschaft und deren Auswirkungen realistisch einzuschätzen. Auch habe er insoweit seine Steuerungsfähigkeit verloren. Nach den genannten Kriterien ist der Betroffene dann aber jedenfalls in dem Bereich der insoweit betroffe...