Leitsatz (amtlich)
Eine Haftungsbeschränkung bzw. ein Haftungsausschluss, die teilweise im Rahmen von Sportveranstaltungen und -ausübungen angenommen werden, kommen nicht in Betracht, wenn der Schaden durch eine gewichtige Regelverletzung des Schädigers verursacht worden ist. Auch bei Sportarten mit erheblichem Gefährdungs- und Verletzungspotential werden von dem Geschädigten nur solche Verletzungen in Kauf genommen, die auch bei regelgerechtem Verhalten nicht zu vermeiden sind.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bochum (Urteil vom 18.04.2013; Aktenzeichen I-8 O 18/12) |
Tenor
Die von der Nebenintervenientin eingelegte Berufung des Beklagten gegen das am 18.4.2013 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Bochum (I-8 O 18/12) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Nebenintervenientin.
Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte und die Nebenintervenientin dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des angefochtenen Urteils sowie des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes für die Berufungsinstanz wird auf 22.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz aus einem Kletterunfall, der sich am 2.6.2011 in dem DAV-Klettergarten "B" in I ereignete. Die Klägerin kletterte eine Wand hinauf und wurde dabei von dem Beklagten mit einem Sicherungsseil im s. g. "Top-Rope"-Verfahren, bei dem das Klettergeschirr an dem Sicherungsseil angebracht ist, das nach oben und über einen Umlenker an der Wand wieder nach unten verläuft, von unten gesichert. Als die Klägerin oben angekommen war und den Umlenker erreicht hatte, löste der Beklagte - unstreitig, ohne dass die Klägerin zuvor das in der Kletterpraxis hierfür vorgesehene Kommando "Stand!" gerufen hatte - die Seilbremse und die Klägerin fiel aus ca. 15 Metern Höhe auf den Boden, wobei sie sich schwer verletzte.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das Urteil des LG vom 18.4.2013 (Bl. 255 ff. d.A.) Bezug genommen.
Das LG hat der Klage stattgegeben.
Der Feststellungsantrag sei - so die Begründung des LG - zulässig. Das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin folge daraus, dass die Nebenintervenientin unter dem 7.11.2011 eine Haftung für den Schadensfall abgelehnt habe, so dass die Klägerin bereits zum Zwecke der Hemmung der Verjährung habe Klage erheben müssen. Die Leistungsklage sei nicht vorrangig, weil die unfallbedingte Heilbehandlung noch nicht abgeschlossen und ihr Erfolg nicht zuverlässig prognostizierbar sei, so dass die Klägerin die Schadenspositionen noch nicht endgültig beziffern könne.
Der Antrag sei auch in vollem Umfang begründet. Der Beklagte hafte der Klägerin gem. § 823 BGB. Er habe widerrechtlich und fahrlässig den Körper und die Gesundheit der Klägerin verletzt, indem er ohne begründete Veranlassung durch das Kommando "Stand" die von ihm übernommene Absicherung der Klägerin durch das Lösen der Seilbremse beendet habe, wodurch die Klägerin auf den Boden gestürzt sei. Die Klägerin treffe dabei kein gem. § 254 BGB zu berücksichtigendes Mitverschulden. Die Nebenintervenientin habe keine belastbaren Tatsachen darzulegen vermocht, nach denen ein Mitverschulden der Klägerin für den Schadenseintritt ursächlich geworden sei. Selbst wenn der Beklagte vor dem Lösen der Seilbremse "Seil frei!" gerufen haben sollte, bleibe auch nach dem Vortrag der Nebenintervenientin völlig offen, ob die Klägerin hierauf überhaupt noch rechtzeitig vor dem Unfall hätte reagieren können. Anknüpfungstatsachen, um die insoweit entscheidende zeitliche Abfolge der Geschehnisse durch ein Sachverständigengutachten feststellen zu können, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr bewege sich das diesbezügliche Vorbringen der Nebenintervenientin ausschließlich im Bereich der Spekulation, was ihr lebensfernes Vorbringen verdeutliche, die Klägerin müsse sich trotz des eindeutigen Signals "Seil frei" in das Seil fallen gelassen haben. Die - nach den Angaben des Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem LG - von der Klägerin geäußerte Erklärung "Okay" habe dem Beklagten aufgrund der Absprachen der Parteien keine Veranlassung gegeben, die Sicherung der Klägerin zu beenden. Auch ein Haftungsausschluss nach den Grundsätzen des Handelns auf eigene Gefahr sei zu verneinen. Diesbezüglich komme es nicht darauf an, ob die für den Wettkampfsport entwickelten Grundsätze im Einzelfall auch auf andere gemeinsam betriebene Sportarten übertragen werden könnten. Grundvoraussetzung für einen Haftungsausschluss seien nach Einschätzung der Kammer nämlich aus der sportlichen Interaktion typischerweise folgende Verletzungsrisiken, die hier bereits deshalb nicht...