Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde. Rücknahme. Begründungsverzicht
Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Betroffene durch seinen Verteidiger bereits ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Bußgeldentscheidung eingelegt, können nachfolgende Teilzahlungen des Betroffenen auf die Geldbuße nicht ohne Weiteres als Rücknahme des Rechtsmittels gewertet werden.
2. Das bloße Schweigen des Betroffenen und seines Verteidigers auf ein Schreiben des Amtsgerichts, in dem das Amtsgericht ankündigt, es werde eine unterbliebene Äußerung als Verzicht auf eine Beschlussbegründung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG werten, stellt keinen Verzicht auf eine Begründung dar.
Normenkette
OWiG § 72
Verfahrensgang
AG Bielefeld (Aktenzeichen 36 OWi 631/13) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verhängte gegen den Betroffenen im Verfahren nach § 72 OWiG mit Beschluss vom 16. Mai 2013 wegen "vorsätzlicher Nichterstattung der (Sofort-)Meldung an die Datenstelle der Rentenversicherungsträger als Arbeitgeber im Gebäudereinigungsgewerbe" in zehn Fällen (Ordnungswidrigkeiten nach §§ 111 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 SGB IV) Geldbußen von 1 x 300 € und 9 x 100 €. Die Gründe des Beschlusses enthalten ausweislich seiner Urschrift (Blatt 67-68 d.A.; bei der Beschlussversion Blatt 63-65 d.A. handelt es sich lediglich um einen Entwurf bzw. eine Vorlage für die Erstellung der eigentlichen Beschlussurschrift) folgende Feststellungen zum Tatgeschehen:
"Der Betroffene ist bzw. war Inhaber der im Handelsregister des Amtsgerichts Bad Oeynhausen eingetragenen Firma Glas- und Gebäudereinigungs-Service U-U S & Sohn e.K. in Q. Es handelt sich um einen Betrieb des Gebäudereinigungsgewerbes."
Nach diesem Absatz folgt in den Beschlussgründen eine Auflistung von Personennamen (jeweils Vor- und Familienname), denen jeweils die Bezeichnung "Arbeitnehmer" oder "Arbeitnehmerin" vorangestellt ist und nach denen, jeweils eingeleitet mit dem Wort "am", jeweils ein kalendarisches Datum aus den Jahren 2011 oder 2012 angegeben ist. Sodann heißt es in den Beschlussgründen:
"Obwohl der Betroffene um seine gesetzlichen Meldepflichten wusste, hat er dem Träger der Rentenversicherung keine Sofortmeldung erteilt."
Von einer weiteren Darstellung des Tatgeschehens in den Beschlussgründen sah das Amtsgericht ab und verwies stattdessen unter Hinweis auf § 72 Abs. 6 OWiG auf den Inhalt des Bußgeldbescheides.
Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde greift der Betroffene den Beschluss des Amtsgerichts in vollem Umfang an. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
II.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge (vorläufig) Erfolg. Einer Erörterung der Verfahrensrüge bedarf es aus diesem Grunde nicht.
1. Eine Entscheidung des Senats über die Rechtsbeschwerde ist (weiterhin) veranlasst. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft geäußerten Auffassung hat der Betroffene sein Rechtsmittel nicht zurückgenommen. Nachdem der Verteidiger am 31. Mai 2013 die Rechtsbeschwerde eingelegt hatte, hat zwar eine Einzahlerin namens "D S" bei der Gerichtskasse Bielefeld am 5. Juni 2013 und am 3. Juli 2013 jeweils Teilzahlungen in Höhe von 100 € zur Begleichung der Geldbußen geleistet. Hierin liegt indes keine (konkludente) Rücknahme der Rechtsbeschwerde. Hat der Betroffene (durch seinen Verteidiger) bereits ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Bußgeldentscheidung eingelegt, können nachfolgende Teilzahlungen des Betroffenen nicht ohne Weiteres als Rücknahme des Rechtsmittels gewertet werden. Es kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass derartige Zahlungen auf einem Rechtsirrtum über die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Bußgeldentscheidungen beruhen, gibt es doch zahlreiche Fälle, in denen Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen, mit denen Geldleistungen zu Gunsten des Staates festgesetzt werden, keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. z.B. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, § 361 Abs. 1 Satz 1 AO, § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO). Im vorliegenden Falle kommt hinzu, dass die Teilzahlungen nicht von dem Betroffenen selbst, sondern von einer dritten Person geleistet wurden, ohne dass erkennbar ist, ob und gegebenenfalls inwieweit das Verhalten dieser dritten Person dem Betroffenen zuzurechnen ist.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft. Zur Prüfung, ob die in dieser Vorschrift genannte Wertgrenze überschritten ist, sind die zehn vom Amtsgericht verhängten Geldbußen hier zu addieren.
Aus § 79 Abs. 2 OWiG folgt, dass Geldbußen, die für mehrere Taten im prozessualen Sinne (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 264 Abs. 1 StPO) verhängt worden sind, zum Zwecke der Prüfung, ob die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG überschritten ist, nicht zusammengerechnet werden dürfen. Hat das Amtsgericht indes für materiell-rechtlich im Verhältnis der Ta...