Leitsatz (amtlich)

1. Die gem. § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB für ihre minderjährigen Kinder den Mindestkindesunterhalt geltend machende getrennt lebende Kindesmutter bleibt trotz des Bezuges von SGB-II-Leistungen für die Kinder zur Geltendmachung auch rückständigen Kindesunterhalts verfahrensführungsbefugt und aktivlegitimiert, wenn die (teilweise) Leistungsfähigkeit des Kindesvaters zum Kindesunterhalt allein auf der Zurechnung fiktiven Einkommens beruht. Der an sich gem. § 33 Abs. 1 SGB II erfolgende gesetzliche Forderungsübergang auf den SGB-II-Träger findet in diesem Falle nämlich gem. § 33 Abs. 2 S. 3 SGB II nicht statt.

2. Ist der Mindestkindesunterhaltsschuldner nach seinen konkreten persönlichen Verhältnissen auch bei der gem. § 1603 Abs. 2 BGB gebotenen Annahme einer fiktiven vollschichtigen Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung von pauschalen berufsbedingten Aufwendungen von 5 % in Ansehung des notwendigen Selbstbehalts nach Ziff. 21.2 der Hammer Leitlinien nicht leistungsfähig (hier ein lediglich als Beikoch oder in ähnlichen Bereichen einsetzbarer tamilischer Kindesvater mit schlechten Deutschkenntnissen), kommt stattdessen die fiktive Zurechnung eines teilweise anrechnungsfreien Nebenverdienstes neben dem SGB-II-Bezug nach den §§ 11, 11a, 11b Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1 SGB II nicht ohne weiteres in Betracht.

3. Vielmehr ist in diesem Falle zu differenzieren, wobei sich der Senat entgegen Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Brandenburg, NJW 2008, 3366; OLG Hamm, 8 UF 90/07, 1 UF 180/01) der Rechtsprechung des 13. und des 7. Familiensenats des OLG Hamm anschließt (13 UF 2/09, 7 WF 93/10):

a) Gemäß § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB II muss der Unterhaltsschuldner, wenn bereits ein Kindesunterhaltstitel besteht, den titulierten Kindesunterhalt jedenfalls für eine Übergangszeit aus der Summe der bezogenen Sozialleistungen und des ihm (fiktiv) zuzurechnenden teilweise anrechnungsfreien Nebenverdienstes unter Beachtung eines aus dem notwendigen Selbstbehalt des Erwerbstätigen und des Nichterwerbstätigen zu mittelnden Selbstbehalts bestreiten. Auf Grund der bestehenden Titulierung muss er nämlich jederzeit mit der Möglichkeit der Pfändung in das ihm insgesamt aus Sozialleistungen und Nebenverdienst zufließende Einkommen rechnen.

b) Im Umkehrschluss aus diesem Vorrang des Kindesunterhalts bei Nebeneinkünften neben dem SGB-II-Bezug nur und ausschließlich nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB II folgt, dass die Möglichkeit teilweise anrechnungsfreier Nebeneinkünfte beim Bezug von SGB-II-Leistungen es dem Unterhaltsgläubiger ansonsten nicht eröffnen soll, Kindesunterhalt auf Grundlage der Sozialleistungen und eines anrechnungsfreien Teils rein fiktiver Nebeneinkünfte erstmals titulieren zu lassen. Hierfür spricht auch der (sozialpolitische) Zweck der gesetzlichen Regelung des SGB II, wonach eine Ausweitung der bereits zuvor bestehenden Möglichkeiten eines anrechnungsfreien Erzielens von Einnahmen - und damit ein zusätzlicher Anreiz zum Verbleib im Sozialleistungsbezug - gerade nicht gewollt ist.

 

Normenkette

SGB II § 33 Abs. 1, 2 S. 3, §§ 11, 11a, 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 7, Abs. 2, 3 Nr. 1; BGB § 1629 Abs. 3 S. 1, § § 1601 ff., § 1603 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Herne (Urteil vom 06.08.2013; Aktenzeichen 16 F 42/13)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der am 6.8.2013 verkündete Beschluss des AG - Familiengericht - Herne teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Unterhaltsantrag der Antragstellerin wird insgesamt zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.592 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde bereits im ersten Rechtszug vorgenommen. Von einer erneuten Vornahme sind keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG. Die Beschwerde hat aus den unangefochten gebliebenen Gründen des Hinweisbeschlusses des Senats vom 19.11.2013 in vollem Umfang Erfolg.

B. Die zulässige, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG rechtzeitig eingelegte Beschwerde ist begründet. Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner im Ergebnis nicht den geltend gemachten und vom AG teilweise titulierten Kindesunterhaltsanspruch.

I. Nach der Trennung der Beteiligten steht der Antragstellerin zwar gem. § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB dem Grunde nach das Recht zu, die Mindestkindesunterhaltsansprüche der drei aus dem Tenor des angefochtenen Beschlusses ersichtlichen Kinder aus den §§ 1601 ff., 1603 Abs. 2 BGB im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen.

II. Dabei ist die Antragstellerin auch aktivlegitimiert, obwohl sie ausweislich der Unterlagen im Verfahrenskostenhilfe-Heft für die drei Kinder - den monatlichen Anspruch gegen den Antragsgegner übersteigende - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch das Jobcenter I nach dem SGB II erhält. Der grundsätzlich gem. § 33 Abs. 1 SGB II eintretende gesetzliche Forderungsübergang auf den Leistung...

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